Meine Auslandserfahrungen in Popayán

13. Juni 2024   |   Marco Rico

Hola liebe Leser:innen, lass mich dir ein wenig von meinen Erfahrungen in Kolumbien erzählen!

Ich bin Marco, komme aus einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein, wo ich das Privileg hatte, eine Holzhütte und die umgebende Natur meine Heimat nennen zu dürfen. Nun lebe ich seit knapp neun Monaten in Popayán, der Hauptstadt von Cauca, einem Staat in Kolumbien. Diese Stadt wird ebenfalls als „Kleinstadt“ bezeichnet, wobei hier klein großgeschrieben wird.

Kolumbien: Mehr als nur ein Kartell-Land

Kolumbien ist nicht nur, wie viele aus Filmen oder falschem Wissen meinen zu kennen, ein Kartell-Land, das von Drogen beherrscht wird. Kolumbien ist ein Land der Flora und Fauna, und was für eine Fauna! Du kannst hier alles erleben, ob wunderschöne Strände in Cartagena oder San Andrés oder die riesigen schneebedeckten Anden, welche sich durch ganz Südamerika ziehen. Auch grüne Wälder, die himmlische Himbeeren, rosa-rote Erdbeeren, Brombeeren und viele weitere Früchte hervorbringen, kann man hier in Kolumbien sehen!

Gastfreundschaft in Kolumbien

Was ich auf jeden Fall hervorheben muss, ist die unglaubliche Gastfreundschaft. Es trifft mich immer wieder ins Herz, wie unglaublich fürsorglich der Kolumbianer ist. Es ist schwieriger, im Lotto zu gewinnen, als bei einem Kolumbianer vorbeizukommen und nichts angeboten zu bekommen, selbst wenn es nur der letzte Rest Kaffee von einer armen Familie ist.
Vor allem ich, als junger 20-Jähriger, werde von den Menschen hier wie ihr eigener Sohn behandelt, sehr zur Eifersucht meiner eigenen Mutter.

Die Drogenproblematik in Kolumbien

Kommen wir zurück zu dem Aspekt der „Drogen regieren das Land“. Leider hat Kolumbien eine lange und sehr berühmte Geschichte mit dem „Escobar“-Kartell gehabt. Obwohl ich bisher keinen einzigen Kolumbianer kennengelernt habe, der für Escobar ist oder ihn gutheißen kann, sieht man in der berühmten Netflix-Serie, wie er den Dorfbewohnern Geld, Häuser und Essen anbietet. Man bekommt jedoch nicht mit (ich zumindest), wie viele unschuldige Bewohner ihr Leben durch den Drogenkrieg verloren haben.

Heutzutage ist Pablo zwar schon lange tot, jedoch haben seine Mitstreiter viele Spuren und Narben in diesem schönen Land hinterlassen. Vor allen Dingen das Wissen, dass man mit Drogen immens und superschnell Geld machen kann. Da die Armut immer noch stark in Kolumbien herrscht, tendieren viele (vor allem junge Menschen) dazu, in eine Bande oder ein Kartell einzusteigen und Drogen zu transportieren. Das ist traurig, allerdings habe ich eigenhändig von einem Jungen, der gerade mal 13 Jahre alt ist, erfahren, dass er selbst konsumiert und stiehlt, um seine drei jüngeren Geschwister zu versorgen, da er zusammen mit seiner Oma und Cousine in einer „Vereda“ wohnt, in einer von ihnen selbst eingenommenen Invasion.

Leben in den Veredas

Solche Veredas gibt es sehr viele in Kolumbien. Das Schema läuft so: Eine Gemeinde findet sich zusammen, sucht sich einen Fleck, der gut eben ist für mehrere Veredas, und arbeitet zusammen, um so schnell wie möglich mit vereinten Kräften dieses Feld für sich zu beanspruchen. Sobald die Polizei oder das Militär davon Wind bekommt, kommen sie, um die Leute zu vertreiben. In manchen Fällen erfolgreich, in anderen wiederum kommen die Gemeinde mit Stöckern, Macheten, Steinen und allem, was sie in die Finger bekommen können, um ihr „Territorium“ gegen die Entnahme zu verteidigen.

Selbstjustiz in Popayán

Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen, da ich in sehr vielen „Barrios“ gewohnt habe, dass die meisten Kolumbianer ihre eigenen Gesetzeshüter sind. Wenn beispielsweise Motorräder gestohlen werden, was hier in Popayán immens oft passiert, sucht die Nachbarschaft den „Ñero“ auf und gibt ihm eine harte physische Bestrafung und verbrennt sein dazugehöriges Motorrad. Im Anschluss wird die Polizei eine Befragung in der Nachbarschaft durchführen, um den oder die Täter zu ermitteln.

Lernen aus Herausforderungen

So viel zu den Erfahrungen in meiner Stadt Popayán. Ich lerne von jeder, die sich mir über den Weg läuft. Denn ein Auslandsjahr wird nicht immer nur rosarot und blumig aussehen, aber genau diese „Herausforderungen“, mit denen man umgehen muss, lehren einem auf jeden Fall eine besonders große Erfahrung, um weiter durch das Leben zu gehen.

Schlussgedanken

Abschließend möchte ich jedoch Kolumbien mit einem schönen Ende abschließen, denn trotz jeder noch so „harten“ Erfahrung, die ich erleben „durfte“, würde ich immer wieder, wenn ich jemals wieder die Chance erhalte, nach Kolumbien für ein Jahr reisen, ohne zu zögern, in Anspruch nehmen. Auch als meine Eltern mich besucht haben, erst mein Papa, der aus „Kuba“ ist, und vor kurzem meine Mutter, die aus Deutschland kommt, haben sie nicht nur Kolumbien in vollen Zügen genossen, sondern haben sich sogar geäußert, dass sie sich vorstellen könnten, ihr Leben hier zu verbringen.

Und wo ich hier schon etliche Familien als „meine eigene Familie“ nennen durfte, die mich zu Weihnachten („Novenas“), Silvester sowie zu ihrer eigenen Graduierung eingeladen haben, werde auch ich sie zu meiner Graduierung in Deutschland und zu meinem Geburtstag auf jeden Fall einladen.

In diesem Sinne kann ich voller Begeisterung und vor allem riesiger Dankbarkeit im Herzen sagen: Amo mi Colombia…

Ganz liebe Grüße
euer Marco

PS: Hier noch eine kurze Erklärung zu den Begrifflichkeiten:
„Vereda“ ist ein Begriff, der in Kolumbien verwendet wird, um eine Art der territorialen Unterteilung der verschiedenen Gemeinden des Landes zu definieren.
„Ñero“ ist ein Begriff, der für Delinquenten oder auch Obdachlose genutzt wird, welche Drogen konsumieren, sowie für Jugendliche, die rauben.
„Novenas“ kommt von „nueve“ (neun), neun Tage bevor Jesus Christus geboren wurde. Hier singt man alle neun Tage Lieder und trifft sich in der Familie.

 

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