Gringa in Cushma

6. März 2023   |   Autorin: Fenja

Gringa in Cushma

5:27 Uhr am Morgen, mein Handy klingelt, während ich bereits meine Tasche packe. Noch recht verschlafen gehe ich dran und die Stimme meines Chefs begrüßt mich mit einem: „Hola Fenix, buen día. Vamos!?“. Ich öffne ihm die Tür, frage standardmäßig, ob ich heute wohl Gummistiefel brauche oder nicht, wir packen im Büro alle Materialien zusammen und machen uns auf den Weg.
Heute ist ein wichtiger Tag, denn es steht eine Vollversammlung in der indigenen Gemeinschaft (Comunidad) ‚San Gerónimo‘ an. Die letzte Versammlung für die Erarbeitung der dorfeigenen Verfassung, dem Estatuto.

Nach einer einstündigen Wanderung kommen wir mit nassen Füßen in der Comunidad an und werden bereits von einigen Comuneros erwartet und herzlich begrüßt. Wir sind früh dran, sodass wir uns bei einer Tasse frischem Ananas-Wasser kurz ausruhen können. Da kommt Dina, die Dorfälteste, und reicht mir eine ihrer Cushmas, die traditionellen Gewänder der Yanesha. Sie möchte gerne ein Bild mit ‚der Gringa in Cushma‘ machen. Ich freue mich darüber, noch nie habe ich eine Cushma getragen und dass ich eines ihrer Gewänder tragen darf, die sie mit viel Arbeit selbstanfertigt, ist nicht selbstverständlich. Die Kleidung und der dazugehörige Schmuck haben eine große Bedeutung für die Yanesha und sind Ausdruck ihrer kulturellen Zugehörigkeit.

Nach und nach kommen noch mehr Mitglieder der Gemeinschaft und der Amchatareth, der Dorf Chef, beginnt mit seiner Begrüßung. Er betont, wie wichtig das Estatuto für die Comunidad sei und zeigt sich dankbar für die Begleitung von Atiycuy. Es ist üblich, dass auch jede:r aus unserem Team einige begrüßende Worte an alle Teilnehmenden richtet, bevor unsere Anwältin mit dem Workshop beginnt. Es werden noch einmal einige Artikel verlesen, letzte Änderungen besprochen und diskutiert. Ein Vater-Sohn-Duo fällt dabei besonders positiv auf: Der Vater kann nicht lesen, sodass der Sohn ihm zu Hause jeden einzelnen Absatz des Verfassungsentwurfes vorgelesen hat, um gemeinsam zu überlegen, was noch unklar ist und wo etwas geändert werden könnte. Das zeigt, wie viel ihnen ihre Kultur und deren Erhaltung bedeuten. Das Ergebnis ihrer Bemühungen tragen sie also dem Rest des Dorfes vor und am Ende des Tages sind alle Sorgen und Zweifel aus dem Weg geräumt. 15 Kapitel, 58 Artikel und mehr als zwei Jahre Arbeit stecken in der Dorfverfassung – für die Comunidad ein großer Schritt in Richtung Autonomie und Selbstverwaltung. Der Prozess des Estatutos ist nun in fast allen Yanesha-Gemeinschaften, mit denen Atiycuy zusammenarbeitet, abgeschlossen. Auf dieser Grundlage kann die Dorfentwicklung, unter anderem im Hinblick auf eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen, weitergehen, sodass die Yanesha auch in Zukunft in ihren Gemeinschaften leben können.

Peruanische Weihnacht

Was sonst noch in den letzten drei Monaten passiert ist? Mehr als ich hier in einem Blogartikel schreiben kann. Ich habe eine Nacht mitten im Regenwald geschlafen, bin zu einer versteckten Fledermaushöhle gewandert, habe Gallitos de las Rocas (der Nationalvogel Perus) gesehen, bin in die Sierra gereist und musste mit einer Gehirnerschütterung bis nach Lima ins Krankenhaus.
Irgendwas erlebe ich hier immer.

Und dann kam auch schon Weihnachten. Ich muss sagen, richtige Weihnachtsstimmung herrschte hier nicht. Zwar hingen überall kitschige Lichterketten die Musik machten und hier und da liefen Weihnachtslieder, aber die Vorweihnachtszeit wird hier längst nicht so zelebriert wie in Deutschland. Unsere Mentorin hatte mich und meine drei Mitfreiwilligen eingeladen, Weihnachten mit ihrer Familie in Lima zu feiern, worüber wir uns sehr freuten und die Einladung gerne annahmen. Und was soll ich sagen, der peruanische Heiligabend ist nicht die stille, friedliche Nacht im engsten Kreis der Familie. Recht spät am Abend traf ein Großteil der gesamten Familie, etwa dreißig Personen, aus verschiedenen Teilen Perus ein. Dass dann auch noch vier fremde Gringos aus Deutschland mit dabei waren, stellte überhaupt kein Problem dar und wir wurden mit offenen Armen von der Familie aufgenommen. Jede:r brachte Essen mit, sodass am Ende ein Ferkel, zwei Truthähne, Pizza und einige Salate auf dem Tisch standen – hungrig sollte an dem Abend niemand ins Bett gehen. Nach dem Essen ging dann der lustige Teil des Festes los: ein Spielewettbewerb. Vier Teams, die in Karaoke, Pantomime, Tanzen und Puzzeln gegeneinander antraten. Um Mitternacht ist es dann üblich, dass alle sich frohe Weihnachten wünschen und draußen ein Feuerwerk angezündet wird.

Laut, chaotisch und spaßig, so würde ich mein peruanisches Weihnachtserlebnis beschreiben. Und auch wenn es mir etwas seltsam vorkam, Weihnachten auf so andere Art und Weise und ohne die eigene Familie zu feiern, war es eine schöne Erfahrung und ein Abend, der mir in sehr guter Erinnerung bleiben wird.

Sommerliches Silvester

Nach den Feiertagen sollte es dann für mich und meine drei Mitfreiwilligen Paul, Sven und Mo in den Urlaub gehen. Die Küste hoch in den Norden und an den Strand. Leider wussten wir schon vor Reiseantritt, dass der Urlaub kürzer ausfallen wird als geplant. Bereits im Dezember, nach dem gescheiterten Putschversuch und der Festnahme von Präsident Castillo, hatte sich die politische Situation mit gewaltsamen Protestmärschen zugespitzt. Und auch wenn über Weihnachten und Neujahr ein Waffenstillstand in Peru herrschte und die Proteste zunächst ausgesetzt waren, wurden frühzeitig erneute heftige landesweite Proteste ab Anfang Januar angekündigt, sodass wir dann nicht mehr unterwegs sein sollten.

Trotz der unruhigen Lage haben wir die Urlaubszeit, die wir hatten, genossen und einiges erlebt. Über Barranca nach Trujillo, und von dort aus an den Strand nach Huanchaco, um Silvester am Pazifik zu feiern. Neben Entspannung, Sonne und Strand war auch viel Kultur dabei. In Peru gibt es zahlreiche archäologische Ausgrabungsstätten, die einem viel über die präperuanischen Kulturen, wie die Lima, Wari, Ychma oder Inka, erzählen. Es ist super interessant, sich näher mit deren Weltbild und Glauben zu beschäftigen, und auch die Lebensweise in anderen Zeitaltern ist faszinierend. Wenn man dort vor den Ruinen einer königlichen Pyramide steht, kann man sich zumindest ansatzweise vorstellen, wie es dort mal ausgesehen hat und wie die Menschen dort gelebt haben.
Zurück in Lima bin ich von dort sofort weiter in die Andenstadt Tarma gefahren, um dort noch einige Tage zu verbringen, bevor es wieder zurück nach Villa Rica ging.

Mittlerweile hat die Arbeit wieder begonnen. Es ist schön, wieder mit dem ganzen Team gemeinsam zu arbeiten und in die Yanesha-Gemeinschaften zu fahren. Es gibt viele neue Schwerpunkte und Ziele für 2023, mit denen Atiycuy Perú die nachhaltige Entwicklungsarbeit im Regenwald vorrantreiben möchte

Juntos para una vida digna!

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