„Du hast schon mehr von Costa Rica gesehen als ich!“

17. März 2023

„Du hast schon mehr von Costa Rica gesehen als ich!“

Am Wochenende Touristin und unter der Woche so sehr Tica, wie nur irgendwie möglich.

So lassen sich meine letzten sechs Monate ziemlich gut zusammenfassen. Meine Mitfreiwilligen und ich haben das unfassbare Privileg, die schönsten Ecken Costa Ricas entdecken zu dürfen. Wir erklimmen Vulkane, surfen in der Karibik, lassen Babyschildkröten frei und rutschen Wasserfälle hinunter. Kurz gesagt, wir leben den Pura-Vida-Traum, den man sich ausmalt, wenn man an die ‚Schweiz Mittelamerikas‘ denkt. Mein Bild von Costa Rica war immer durchweg positiv geprägt, man denke an den Umweltschutz, die Abschaffung der Armee oder einfach an eines der ‚glücklichsten Länder der Welt‘. Allerdings ist das nur das eine Gesicht Costa Ricas und wir haben das Glück, durch unsere Projekte, Gastfamilien und Freunde, einen Einblick in die eigentliche Lebensrealität der Costa Ricaner:innen zu erlangen und somit die vielschichtige Fassade des Landes etwas näher kennenlernen zu können. Hierzu möchte ich ein paar meiner Gedanken mit euch teilen und euch einen Blick über den Tellerrand eines Touristen hinaus bieten:

Leben in Costa Rica

Am Wochenende bin ich immer viel unterwegs, um das Land zu erkunden und so bekomme ich die Aussage, welche ich als Überschrift gewählt habe, oft von meinen Arbeitskolleginnnen am Montag zu hören. Mittlerweile ist es mir schon fast unangenehm zu berichten, wie ich die letzten Tage verbracht habe, denn als Freiwillige bekomme ich von VISIONEERS monatlich 100€ überwiesen und wie viele meiner Mitfreiwilligen weitere 250€ Kindergeld. Des weiteren haben wir Anrecht auf 24 Tage Urlaub und einige weitere Seminartage. Schnell musste ich feststellen, dass wir damit deutlich besser aufgestellt sind als der Durchschnitt in Costa Rica.
Der Mindestlohn wird in Costa Rica von einem nationalen Rat festgelegt. So verdient ein:e Gärtner:in 19,71€ und ein:e Bäcker:in 22,08€ an einem 8-Stunden-Tag(1). Zu den niedrigen Löhnen kommt hinzu, dass „[im] Verlauf des letzten Jahrzehnts […] der Mindestlohn in Costa Rica, trotz einer durchschnittlichen Preissteigerung von 10% und einer Steigerung des BIP um 30% pro Kopf, mehr oder weniger konstant geblieben [ist]“(2). Außerdem erhalten 30-40% der Arbeitnehmer:innen nicht einmal den vorgeschriebenen Mindestlohn(3).

Aufgrund des niedrigen Einkommens müssen 300.000 Beschäftigte Hunger leiden, obwohl sie arbeiten(4). Die Lebenshaltungskosten sind zwar tendenziell etwas niedriger als in Deutschland, allerdings kann man die Lebensmittelpreise sowie die Kosten für Hygieneartikel und Kleidung durchaus mit den Preisen in Deutschland vergleichen, wenn sie nicht sogar etwas höher sind. Dementsprechend gering ist auch die Kaufkraft der Costa Ricaner:innen und insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass ungefähr ein Viertel der Gesellschaft „auf oder unter der Armutsgrenze“ lebt(5).
Ein weiteres großes Problem ist, dass ungefähr die Hälfte der Costa Ricaner:innen nicht arbeitet und dementsprechend auch nicht vom staatlichen Sozialsystem unterstützt wird. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es gar nicht(6). Der Bedarf wäre aber groß, denn die Arbeitslosenquote lag 2021 bei 18% und die Jugendarbeitslosenquote sogar bei 45,4% (7).

Es sind die kleinen Dinge

Es stimmt, aus genannten Gründen habe ich bestimmt schon mehr von Costa Rica gesehen als mancher Tico. Aber neben der atemberaubenden Natur sind es vor allem die Menschen selbst, die mir auch eine besondere Sicht auf das Land schenken.
Trotz der vorherrschenden Problematiken tragen die Costa
Ricaner:innen irgendwie eine ganz besondere Lebensfreude, Gastfreundschaft und Herzlichkeit in sich, die man wohl mit den Worten ‚Pura Vida‘ zusammenfassen könnte.
Es sind viele kleine Erlebnisse und Momente, die alle zu einer einzigartigen Erfahrung führen, für die ich wahnsinnig dankbar bin.
So wird man spontan auf Weihnachtsfeiern eingeladen, auf welchen ausgiebig gesungen, getanzt und gespielt wird, man trifft sich mit wildfremden Menschen zum Kaffeetrinken, bis dato Unbekannte machen es sich zur Aufgabe, einem ihr Städtchen zu zeigen, Rentner:innen versuchen, einem auf der Straße Tanzschritte beizubringen und andere nehmen einen mit zu kulturellen Veranstaltungen oder zaubern einem traditionelles Essen zum Probieren.
Dementsprechend schwer fällt mir auch der Gedanke an den Abschied, welcher schon in weniger als sechs Monaten bevorsteht.

Quelllen:

1 Vgl. Ministerio de trabajo y seguridad social, Departamento de Salarios Mínimos (Hrsg., 2023): lista de salarios mínimos 2023, www.mtss.go.cr (Stand: 26.02.2023)
2 Ullmann, Magdalena (20.04.2011): Mindestlohn, soziale Ungleichheit und Armut in Costa Rica, https://www.kas.de/de/web/costa-rica/veranstaltungsberichte/detail/-
/content/mindestlohn-soziale-ungleichheit-und-armut-in-costa-rica1 (Stand: 26.02.2023)
3 Vgl. ebd.
4 Vgl. ebd.
5 My Costa Rica (Hrsg.): Ein kleines, aber stabiles Land,
https://costarica.org/de/fakten/wirtschaft/ (Stand: 26.02.2023)
6 Ullmann, 2011
7 WKÖ, Abteilung für Statistik (Hrsg., 02.2023): Länderprofil Costa Rica, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-costa_rica.pdf (Stand: 26.02.2023)

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