Zwischen Unterschieden und Privilegien

7. August 2023   |   Autorin: Aline

Zwischen Unterschieden und Privilegien

Seit August lebe und arbeite ich in Costa Rica in der gemeinnützigen Non-Profit- Organisation Sayú, wo ich Englisch- Deutsch- und Musikunterricht gebe und bei regelmäßigen weiteren Aktionen (wie Strandreinigungen und Jugendcamps) mithelfe.
Schon einige Zeit vor meinem Abitur wusste ich, dass ich einmal für längere Zeit im Ausland leben und arbeiten möchte. In der Schule hat mir vor allem der Spanischunterricht gefallen, in dem wir auch etwas über lateinamerikanische Kulturen gelernt haben, weshalb für mich schnell klar war, wohin es mich treibt. Einen Freiwilligendienst in einem anderen Land zu absolvieren, hat mich besonders interessiert, weil ich eine andere Kultur kennenlernen und neue Blickwinkel erhalten wollte.
Nun sind fast 11 Monate vergangen und meine Mitfreiwilligen und ich müssen bald wieder unsere Heimreise nach Deutschland antreten. In diesem Artikel will ich noch einmal auf das vergangene Jahr zurückblicken und dabei verschiedene Aspekte näher beleuchten.

Das erste, was mir einfällt, wenn ich an Costa Rica denke, ist „Pura Vida“, das Lebensmotto der Costa Ricaner:innen und eine ständig verwendete, universell einsetzbare Floskel im Sprachgebrauch. Sie beschreibt die Einstellung der Menschen hier sehr passend: Dankbarkeit, Lebensfreude und alles kommt zu seiner Zeit.
Ich weiß, das klingt sehr klischeebeladen und wird mit Sicherheit auch in jedem Reisebericht über Costa Rica stehen, aber es ist wahr. Natürlich begegnet man hier trotzdem auch unfreundlichen und ungeduldigen Menschen. Aber ich muss sagen, dass mir immer wieder auffällt, dass hier oft über Dinge gelacht wird, über die man sich in Deutschland aufgeregt hätte und sich stressen lassen würde.

Unterschiede in den Kulturen

Zur Kultur und vor allem zu den Unterschieden zu Deutschland gibt es so viel zu sagen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Trotzdem möchte ich klarstellen, dass meine Aussagen zu den Menschen und ihrer Kultur lediglich auf meinen persönlichen Erfahrungen beruhen und daher natürlich nicht auf alles und jeden übertragen werden können.

Religion

Gleich zu Beginn meines Aufenthalts ist mir aufgefallen, dass die Religion hier eine sehr wichtige Rolle im Leben der Menschen spielt. Die meisten Menschen in Costa Rica sind tiefgläubige Christ:innen, ich selbst habe noch keine einheimische Person kennengelernt, die sagt, sie glaube nicht an Gott. Die Religion spielt sich nicht nur im Privaten und Persönlichen ab, sondern auch im öffentlichen Leben. Beispielsweise werden religiöse Schriftzüge auf Linienbusse gedruckt oder in offiziellen Reden auf das Christentum Bezug genommen.

Familie

Des Weiteren ist mein Eindruck, dass neben dem Glauben, auch die Familie das Zentrum vieler Costa Ricaner:innen ist. Anders als in den westlichen Gesellschaften, wie Deutschland oder den USA, spielt Individualismus und Selbstständigkeit hier eine untergeordnete Rolle und wird eher als egoistisch und kalt angesehen. Für viele Eltern wäre es undenkbar, ihr Kind mit 20 oder gar 18 Jahren alleine „in die Welt ziehen zu lassen“, wie wir Freiwilligen es gemacht haben.
Die Meinung der Eltern ist oft noch im Erwachsenenalter von Bedeutung und ist zum Teil auch mit einem Mitspracherecht gleichzusetzen. Auch das traditionelle Familienbild, inklusive Rollenverteilung von Mann und Frau ist hier, aus meiner Sicht, noch stark verankert. Damit einher geht der Machismo, also das starke Betonen und Demonstrieren der traditionellen männlichen Geschlechterrolle, wobei die Frau dem Mann untergeordnet ist.

Schulbildung

Was mir vor allem bei meiner Arbeit, wo ich bei der Betreuung der Kinder in der lokalen Grundschule mithelfe, aufgefallen ist, ist dass die Qualität der Schulbildung gering ist. Mein Eindruck ist, dass viele Schüler:innen nicht viel vom Unterricht mitnehmen, was vor allem daran liegt, dass zu wenig Personal in den Schulen vorhanden ist und die Lehrkräfte somit nicht auf den individuellen Lernfortschritt eingehen können. Seit letztem Jahr werden nämlich die Schüler:innen mit Autismus oder dem Down-Syndrom in die regulären Klassen inkludiert, ohne dass jedoch zusätzliches Personal zur Verfügung steht. Dementsprechend können diese nicht richtig gefördert werden und bleiben mehr oder weniger auf der Strecke.
Das ist folglich auch eine sehr schlechte Voraussetzung für Chancengleichheit und versperrt vielen Menschen Perspektiven im Leben. Ein weiteres Problem ist der unzureichende Englischunterricht. Obwohl in touristischen Regionen kulturelle Fächer vom Stundenplan gestrichen und durch weitere Englischstunden ersetzt wurden, sind oft nicht einmal Englischgrundkenntnisse bei den Kindern vorhanden.
Mir wurde hier immer wieder bewusst, wie viele Chancen und Möglichkeiten wir in Deutschland haben. Dies betrifft zum Beispiel auch den späteren Bildungsweg durch unsere vielen staatlichen Universitäten.

(Auch wenn es auch dort noch immer sehr viele Defizite in Sachen Chancengleichheit gibt.)

Meine Aufgaben

Wie bereits erwähnt, gebe ich mit meiner Mitfreiwilligen an verschiedenen Standorten Sprach- und Musikunterricht. Der Musikunterricht dient dazu, eine Marchingband aufzubauen, in der jede:r, unabhängig von den finanziellen Mitteln, an Kultur teilhaben kann. Der Unterricht ist kostenlos und hat das Ziel, mehr Menschen einen Zugang zu Bildung zu geben, vor allem denen in finanzieller Not. Die Kurse sind für Kinder ab zwölf Jahren. Außerdem helfen wir seit ca. drei Monaten an zwei Tagen pro Woche noch in einer Musikschule aus, wo wir die Lehrkräfte beim Instrumentalunterricht und bei den Orchesterproben unterstützen. Des Weiteren veranstaltet die Organisation, in der ich arbeite, regelmäßige gemeinnützige Aktionen: Spenden von Schulmaterialien oder Strandsäuberungen.
Hier helfe ich bei der Vorbereitung und Durchführung mit.

Der Sprachunterricht, den ich mit meiner Mitfreiwilligen leite, soll den Kindern die Grundkenntnisse beibringen. Da mit mehr Englischkenntnissen auch die Jobchancen steigen, bietet der Unterricht den Teilnehmenden neue Perspektiven und Möglichkeiten für ihre Zukunft.
Auch wenn CR im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern relativ weit entwickelt ist, gibt es noch sehr viel Armut, soziale Ungerechtigkeit, Gewalt und Drogenkriminalität.
Den meisten Leuten ist es fast nicht möglich, aus diesem Kreis auszubrechen. Deshalb ist es so wichtig, neue Perspektiven zu schaffen. Ich denke, Bildung kann einer der zentralen Schlüssel dazu sein.

Armut

Auch in Costa Rica wurde alles immer teurer, vor allem die Lebensmittel, wobei die Löhne nie daran angepasst wurden. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es hier keine bis wenig Hilfe vom Staat, was zum Beispiel auch in der Corona-Zeit ein großes Problem war. In der Region, wo ich wohne, ist der Hauptwirtschaftszweig der Tourismus. Dieser schafft zwar Arbeitsplätze, jedoch sind die Preise in touristischen Regionen auch immer höher. Das Geld reicht den meisten gerade so zum Überleben.
Jedoch habe ich den Eindruck, dass es auch eine mehr oder weniger stabile Mittelschicht gibt, zumindest in der Region, in der ich wohne. Diese sollte man sich jedoch nicht so wie in Deutschland vorstellen, denn die Menschen leben hier generell in einfacheren Verhältnissen. Die meisten Häuser haben zum Beispiel Wellblechdächer und sind auch viel kleiner. Ich würde sagen, man kann die obere Schicht hier eher mit dem Lebensstandard der deutschen Mittelschicht vergleichen (Auto, Möglichkeit zu verreisen).

Ich habe definitiv eine andere Lebensrealität kennengelernt, in der viele Menschen mit ganz anderen Problemen und Sorgen zu kämpfen haben, als ich es aus meinem Leben in Deutschland kenne.

Fazit

Bevor ich meinen Freiwilligendienst antrat, dachte ich, ich sei mir den meisten meiner Privilegien bereits bewusst. Die Unterschiede zwischen Deutschland und Costa Rica aber selbst zu erleben und zu sehen, hat mir aber nochmal verdeutlicht, was meine Privilegien wirklich bedeuten. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich in meinem Leben bisher hatte und habe. Vor allem auch für die Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven, die sich mir aufgrund der Bildung, die ich erhalten habe, eröffnen.
Außerdem weiß ich nun die Ordnung und Struktur bei uns in Deutschland mehr zu schätzen und möchte gleichzeitig aber auch die positivere, gelassenere Lebenseinstellung vieler Costa Ricaner:innen für mich mitnehmen.

Einen weltwärts-Freiwilligendienst würde ich auf jeden Fall noch einmal machen und weiterempfehlen. Wichtig ist, dass man sich bewusst ist, nicht der/die große Retter:in zu sein, sondern lediglich eine Unterstützung für die Menschen vor Ort.
Auch handelt es sich bei dem Freiwilligendienst nicht um ein Jahr Urlaub, sondern um unbezahlte Arbeit, die eine 40 Stunden Woche vorsieht.

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