Sich seinen Ängsten stellen 

1. November 2023

Sich seinen Ängsten stellen 
 
Was ist, wenn…? 
Allein ohne Familie und Freund:innen in ein fremdes Land zu ziehen, auf einen anderen Kontinent, 10.000 km vom eigentlichen Zuhause entfernt, wo ich die Sprache kaum spreche, klang für mich erstmal beängstigend.

Was ist, wenn ich keinen Anschluss finde? Was ist, wenn ich die Sprache nicht verstehe? Was ist, wenn sich mein neues Zuhause nicht wie ein Zuhause anfühlt?
So viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, Ängste, die mich verunsicherten. Was ist, wenn ich nicht weiß, wie ich diese allein überwinden soll?

Den meisten kommen im Verlauf ihres Freiwilligendienstes an eben diesen Punkt des Zweifelns. Vielleicht bist du aber auch jemand, der einfach zuversichtlich ist, dass alles schon aufgehen wird. So oder so, wirst du sehen, dass alles halb so schlimm ist, wie du es dir vielleicht erstmal vorgestellt hast.

Ist man wirklich komplett auf sich allein gestellt? 
Du bist definitiv nicht allein. Du hast die anderen Freiwilligen, mit denen du das Erlebnis teilst und die deine Sorgen und Ängste bestimmt gut verstehen können. Das ist schön. Pass dabei aber auch auf, deine Situation nicht mit der von anderen zu vergleichen. Wenn etwas bei jemand anderem viel besser zu laufen scheint, hilft es dir nicht, darauf neidisch zu sein. Das heißt aber nicht, dass du aus Erzählungen anderer nicht auch etwas Hilfreiches für dich mitnehmen kannst. Manchmal hat ein anderer Freiwilliger gerade ein ähnliches Problem, das ihn beschäftigt oder Tipps wie du deins lösungsorientiert angehen könntest.

Zudem wirst du höchstwahrscheinlich eine Gastfamilie haben und dort wie ein weiteres Familienmitglied behandelt und unterstützt werden. Solltest du in eine WG ziehen, hast du auch eine neue, zweite Familie. Aber auch die Mitarbeitenden auf der Arbeit oder die Mentor:innen können Teil deiner Costa Rica-Familie werden.

Mir hat es beispielsweise immer geholfen, mit meiner Gastmutter über Schwierigkeiten auf der Arbeit zu reden, da sie einen ähnlichen Beruf ausübt. So konnte ich meine Erfahrung besser beurteilen und herausfinden, ob ich einfach nur überfordert bin, weil ich diese Art von Arbeit nicht gewöhnt bin oder ob ich in einem Gespräch mit meinen Chefinnen fragen sollte, ob etwas an meiner Situation geändert werden könnte. In solchen Gesprächen habe ich dann gemerkt, dass ich meine Sorgen mit ihr teilen kann und damit nicht allein bin.

Was du aber auch nicht vergessen darfst: Du wächst daran, Dinge allein zu erledigen oder dich an Orten zurechtfinden zu müssen, an denen du dich eigentlich erstmal überhaupt nicht auskennst. Es kann sich richtig gut anfühlen, wenn du es das erste Mal geschafft hast, allein mit dem Bus nach San José zu fahren oder eine neue Sim-Karte über eine spanische Hotline zu aktivieren. Das zeigt dir, dass du nicht immer die Hilfe von jemanden brauchst, sondern auch selbstständig klarkommen kannst, selbst wenn du dich in einem dir unbekannten Umfeld befindest.

Alles auf Spanisch
In Costa Rica wird hauptsächlich Spanisch gesprochen. An Orten, die von besonders vielen Tourist:innen besucht werden, verstehen die Hostelbesitzer:innen auch Englisch. Trotzdem wirst du feststellen, dass du dem Spanischen definitiv nicht entkommen kannst und du keine andere Wahl hast, als die Sprache früher oder später möglichst gut zu beherrschen und zu lernen.
Es kann ein Angstgefühl auslösen, wenn du dich selbst noch sehr unsicher in der Sprache fühlst und weißt, dass du im Notfall, deine Frage nicht nochmal auf Englisch stellen kannst. Das hat aber auch einen großen Vorteil: Du wirst durch die äußeren Umstände dazu gezwungen, dich zu trauen und aus deiner Komfortzone herauszugehen. Du musst keine Angst davor haben, dich nicht sofort richtig ausdrücken zu können. Niemand wird dich dafür verurteilen.

Ich kann mich noch genau an meinen ersten Abend mit meiner Gastmutter erinnern: Ich war so eingeschüchtert, da ich außer „Hola“ und „Como estás?” nichts sagen konnte. Doch Rebeca, meine Gastmutter, war ganz geduldig mit mir und hat sehr langsam und deutlich gesprochen. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, es wäre ihr zu anstrengend, alles zehnmal zu erklären. Mit der Zeit wurde es für mich immer leichter, mich auf Spanisch auszudrücken. Das hat angefangen mit einfachen Sätzen und Fragen, wie: „Que rico!!“ als Ausdruck der Begeisterung bei leckerem Essen oder: „Como estuve tu día?” als Frage, wie denn der Tag der anderen Person so gelaufen ist. Jeden Tag habe ich neue Wörter gelernt und da ich auch eine gewisse Routine im Alltag hatte, habe ich immer wieder dieselben Sätze benutzt, was mein Sicherheitsgefühl beim Sprechen gefördert hat. Ziemlich schnell konnte ich gute Erfolge sehen und mich immer besser mit anderen unterhalten.

Das ist, wenn…

Wenn du mal das Gefühl hast auf der Stelle zu stehen oder nicht weißt, wie du eine Angst bezwingen sollst, rate ich dir kurz durchzuatmen und darüber nachzudenken, was passieren könnte, wenn du dich traust und deine Komfortzone verlässt. Was kann dann schon passieren?

Was ist, wenn du auf andere Leute zugehst und sie ansprichst, um dich mit ihnen anzufreunden? Was ist, wenn du dein Gegenüber höflich darum bittest, das Gesagte zum dritten Mal zu wiederholen? Was ist, wenn du Menschen in dein Herz schließt und sie sich langsam nach einem zweiten Zuhause anfühlen?
Das passiert, wenn du den Mut aufbringst und über deinen Schatten springst.

Natürlich ist es genauso okay, wenn du es mal nicht schaffst oder es sich nicht so leicht anfühlt, wie es sich gerade anhört. Du hast es schon geschafft, dich in den Flieger zu setzen, der dich tausende Kilometer von deinem Zuhause in Deutschland weggebracht hat. Das war der erste Schritt und er war riesig.
Also warum solltest du das andere dann nicht auch schaffen?
Vertraue auf dich selbst und mache das Beste aus dem Jahr!
Genieße es und lass es einfach auf dich zukommen!