Die Brücke überqueren

27. Oktober 2022   |   Katharina Wetscher

Die Brücke überqueren

Morgens zum Geschrei der Kinder aufwachen, mir einen Smoothie aus tropischen Früchten mixen und mit meinen Mitbewohnerinnen gemütlich frühstücken, bevor wir uns in der warmen costa-ricanischen Sonne auf den Weg zur Arbeit machen, das alles gehört für mich mittlerweile der Vergangenheit an. Und so schön es hier in Deutschland bei meiner Familie und meinen Freunden auch ist, vermisse ich dennoch die Zeit in Costa Rica sehr.
Oft gehe ich durch meine Fotobibliothek auf meinem Handy, schaue mir die Fotos aus dem Jahr an und erinnere mich wieder an die ganzen Dinge, die dieses Jahr so besonders gemacht haben. Wie ich den höchsten Berg Costa Ricas bestiegen habe oder die längste Zipline Lateinamerikas entlanggesaust bin; oder ich erinnere mich an das WG-Leben, das solch eine Nebensache zu sein scheint, die das Jahr aber trotzdem so bedeutsam für mich gemacht hat. Besonders die Bilder meiner Abschiedszeit machen mich immer noch emotional.
In meinem ehemaligen Projekt, dem Kinderheim “Hogar de Vida” sind Abschiede natürlich ein sensibles Thema. Denn einem kleinen Kind kann man natürlich nicht einfach sagen, dass es noch nicht zur Mama zurückdarf, während ein anderes Kind schon nach kürzerer Zeit das Kinderheim verlässt. Deshalb wird dort die Metapher der Brücke verwendet. Die Kinder stehen auf der einen Seite der mit Steinen und Ästen blockierten Brücke und auf der anderen Seite die Familie. Beide Seiten müssen „arbeiten“, um die Steine und Äste aus dem Weg zu räumen und die Brücke überquerbar zu machen. „Arbeiten“ bedeutet in dem Fall der Kinder, gemeinsam mit den Tias (den Betreuerinnen) an Verhaltensweisen zu arbeiten und Meilensteine in der Entwicklung zu erreichen. Aber nicht nur für die Kinder wird diese Metapher verwendet. Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin das Kinderheim verlässt, überquert er/sie auch die Brücke. Und so habe ich auch an meinem letzten Arbeitstag in Costa Rica den letzten Stein von der Brücke gehoben und habe den Weg zu meiner Familie in Deutschland freigeräumt.

Doch was waren denn meine Steine und Äste, von denen ich meine persönliche Brücke befreit habe? Was waren meine Meilensteine und meine Verhaltensweisen, an denen ich gearbeitet habe? Einer der größten Steine ist für jeden wahrscheinlich die Sprache. Ganz flüssig rede ich auch nach einem Jahr natürlich nicht und bestimmte Grammatikthemen, wie z.B. der Subjuntivo, sind mir manchmal immer noch ein Rätsel. Doch wenn ich jetzt daran zurückdenke, dass ich am Anfang des Jahres in einer Konversation fast nie etwas direkt verstanden habe, bin ich mit meinem aktuellen Sprachniveau sehr zufrieden. Ein weiterer Meilenstein für mich war meine persönliche Weiterentwicklung in meiner Arbeit mit den Kindern. Besonders meine Geduld habe ich das Jahr über immer und immer wieder erproben, beziehungsweise üben müssen. Eine weitere sehr wichtige Einsicht, die ich mir in stressigen Situationen immer wieder ins Gedächtnis rufen musste, war diese: egal, wie schwierig die Kinder sind oder welche Verhaltensweisen sie haben, es ist nicht ihre Schuld und sie verhalten sich nicht so, um uns Betreuer:innen absichtlich zu ärgern. Natürlich muss es Konsequenzen für Handlungen geben, doch es ist unglaublich wichtig, ruhig zu bleiben und sich nicht persönlich angegriffen zu fühlen!
Rückblickend kommen mir diese ganzen Erlebnisse manchmal wie ein Traum vor. Natürlich war nicht immer alles toll und schön, es gab auch genügend Momente, in denen ich mit mir selbst oder mit der ganzen Situation gekämpft habe. Das ist aber auch normal und ich würde sagen, es sollte auch so sein. Rückblickend bin ich vor allem dankbar für dieses Jahr, für all die Erlebnisse und auch für die Freundschaften, die in dem Jahr entstanden sind!

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