Meine ersten Wochen in Limón 2000: Ein Erfahrungsbericht

6. Mai 2017

Zunächst ein paar Sätze zu meiner Person: Ich bin Christoph, 23 Jahre alt und studiere BWL. Aufgewachsen bin ich in Ulm mit drei älteren Geschwistern. Mein ältester Bruder ist gehörlos und meine älteste Schwester ist körperlich sowie geistig beeinträchtigt. Diese ungewöhnliche Konstellation hat mich von klein auf geprägt und für soziale Themen sensibilisiert. Meine Mutter ist zudem Erzieherin und war in vielen sozialen Projekten tätig; mein Vater hat weltweit Entwicklungshilfe geleistet. Beide haben sich bei der Arbeit in einem Behindertenheim kennengelernt.

Ich bin sehr froh, mit Visioneers e. V. einen Verein gefunden zu haben, der mir hilft, meine persönlichen Interessen mit dem Pflichtpraktikum meiner Universität zu vereinen. Ich hoffe, das Schulprojekt in Limón 2000 fördern zu können und generell einen kleinen Beitrag für ein langfristiges Bestehen von Visioneers e. V. zu leisten. Nachfolgend möchte ich euch von meinen ersten Eindrücken und der Arbeit vor Ort berichten.

Ankunft:

Am 28.03.2017 bin ich spät abends in Limón angekommen; auf Anraten eines Einheimischen bin ich in einem Hostel namens „Oriental” untergekommen. Vielleicht hätte ich nicht nach dem billigsten Hostel fragen sollen, da unter diesem direkt eine Bar mit zwielichtigen Gestalten und Musik bis 2:00 Uhr nachts war. Glücklicherweise sind zwei Hängemattenverkäufer aus Nicaragua, Jose und Esteban, die ich im Bus kennengelernt hatte, ebenfalls dort gestrandet. Gemeinsam waren wir noch bis 1:00 Uhr am Strand. Die beiden haben mich zu ihrer Familie nach Nicaragua eingeladen und ich werde sie demnächst besuchen.

30.03.2017:

Ich bin mehr oder weniger erholt aufgewacht und habe mit Jose und Esteban erst einmal gefrühstückt. Anschließend war ich mit dem Pastor verabredet, bei welchem ich die nächsten fünf Monate leben werde. Er hat mich direkt freundlich begrüßt und ich war froh, nach meinen längeren Reisen endlich ein eigenes Zimmer mit Bett zu haben.

31.03.2017:

Erste Besichtigung meiner Arbeitsstelle für die nächsten 5 Monate.

(im gemähtem Zustand)

Zu Beginn war ich erst einmal ziemlich überfordert und wusste gar nicht, mit was ich anfangen sollte. Wir entschieden uns dazu, zunächst einmal aufzuräumen.

Im Verlauf des Tages war ich mit Fabian, einem Jungen aus Limón 2000, und seiner Schwester Felsi alleine, als plötzlich acht zivile PKWs mit hoher Geschwindigkeit am Gelände vorbeifuhren und ein paar Häuser weiter anhielten. Laut Fabian und Felsi wurden zwei Drogenhäuser durchsucht, in welchen sich wohl zwei tote Männer befanden. Ich habe weitergearbeitet und währenddessen versucht, Fabian ein bisschen Englisch beizubringen.

1.04.2017:

Jeden letzten Samstag des Monats treffen sich alle Pastoren der Gemeinde zur Besprechung und Planung. Es gibt insgesamt 15 Pastoren in einem Gebiet von 20 km² Größe. Das Treffen findet abwechselnd bei einem der Pastoren statt. Es war also ein Glücksfall, dass das Treffen dieses Mal bei uns vor Ort bei Pastor Julio stattfand und ich alle kennenlernen konnte.

2.04.2017:

Heute fand der erste Gottesdienst statt, der mich sehr berührt und nahezu zum Weinen gebracht hat. Drei kleine Mädchen haben während des Gottesdienstes jeweils ein Lied gesungen, eine davon ein sehr trauriges. Sie hat dabei angefangen zu weinen und das Lied abgebrochen. Nach einer Umarmung der Mutter und der Motivation durch den Pastor hat die Kleine das Lied mit voller Kraft zu Ende gesungen. Nach dem Lied hat mich mein Nebensitzer Jonas, ein 16-jähriger Junge, gefragt, ob ich verstanden habe, um was es bei dem Lied ging. Da ich nur gebrochen Spanisch spreche, habe ich den Text des Liedes nicht verstanden. Berührt hat mich das Lied trotzdem, da Musik universal ist. Jonas erklärte mir, dass es bei dem Lied um eine geliebte Person ging, welche verstorben ist, denn der Stiefvater des Mädchens wurde vor kurzem ermordet. Das musste ich erst einmal sacken lassen. Später im Gespräch mit Jonas stellte sich heraus, dass auch sein Vater vor fünf Jahren ermordet wurde.

3.04.–05.04.2017:

In den folgenden Tagen habe ich versucht, so viel Ordnung wie möglich zu schaffen: mähen, Müll aufsammeln, Steine auflesen, Laub harken, streichen und einige kleinere Reparaturen. Es macht Spaß zu sehen, wie sich das Gelände so langsam verändert. Auch der Pastor wirkt motivierter und sprüht vor Ideen.

Nun geht es aber so langsam an Arbeiten, für die bestimmte Geldbeträge notwendig sind. Der Rohbau steht, als nächstes muss der Elektriker kommen und mir zeigen, wo ich die Schlitze für die Leitungen schlagen kann. Spätestens beim Verlegen der elektrischen Leitungen muss ein professioneller Fachmann engagiert werden. Zudem wird Material für den Verputz benötigt und es muss überlegt werden, wie der Boden für eines der Bäder verlegt werden soll. Des Weiteren müssen die Gräben für die Wasserleitungen mit einem Bagger ausgehoben und bestimmte Areale geebnet werden.

6.04.–07.04.2017:

Wir haben einen neuen Weg hinter der Kirche angelegt.

8.04.–09.04.2017:

Am Freitag ist überraschend ein langjähriges Mitglied der Gemeinde verstorben. Am Samstag wurde in einer Kirche im Zentrum Abschied genommen. Zuvor kochten die Schwestern und die Pastorin eine Suppe mit Schweinschwänzen, dazu gab es Reis und Pute, gegessen wurde aus Plastikbechern. Es kamen ca. 100 Leute und das Spannende war, dass bis zum nächsten Tag Totenwache gehalten wurde. Es sind geschätzt mehr als zehn Leute geblieben, um die Nacht vor Ort zu verbringen. Am nächsten Tag um 9:00 Uhr fand der letzte Gang durch die Stadt, von der Kirche zum Friedhof, statt. Der Marsch begann mit einiger Verspätung und verursachte einen Stau in der Stadt.

10.04.–13.04.2017:

Die erste Schultafel wurde aufgestellt, um mit Fabian während der Arbeit ein paar englische Vokabeln zu lernen.

Die letzten schwer erreichbaren Stellen wurden gestrichen.

Heute kam auch der Elektriker und hat uns nach umfassender Begutachtung die nächsten Schritte genau erklärt. Nun können die Schlitze für die Leitungen geschlagen werden; glücklicherweise kann uns ein Freund des Pastors eine Maschine dafür leihen. Die roten Punkte sind zukünftige Steckdosen und Lichtschalter.

Am Montag sind zudem die anderen beiden deutschen Freiwilligen Isabel und Patrick in Limón angekommen. Am nächsten Tag stand Patrick direkt mit mir auf der Baustelle und hat einen Kompost hingestellt, um den Müll etwas zu reduzieren und um guten Dünger für die zukünftigen Blumenbeete zu haben. Zu Beginn war der Pastor sehr skeptisch, doch mittlerweile findet er die Idee super.

Sehr erfreulich ist auch, dass in der nächsten Woche ein Nachbar kommt, um uns etwas unter die Arme zu greifen. Seine Finca ist ein wahres Paradies mit exotischen Pflanzen, von denen wir ein paar Zöglinge haben können. Hier eine von vielen Stellen, an denen wir pflanzen wollen.

Seit dem 14.04.2017 hat sich einiges getan…

Sehr erfreulich war die Zusammenarbeit mit dem Schwiegersohn von Neireida. Neireida hat vor drei Wochen überraschend ihren Ehemann verloren. Pastor Julio und ich hatten die Idee, ihr ein wenig unter die Arme zu greifen. Wir räumten das Haus auf und sortierten einige Dinge, von denen ein Teil als Erinnerungsstücke aufbewahrt und ein Teil verkauft werden konnte. Mit Hammer und Meißel wurde die Außenwand des Hauses von altem Beton befreit und mit einem Hochdruckreiniger gesäubert. Es ist weiterhin geplant, das Haus zu verputzen und in einer schönen Farbe anzustreichen. Ich glaube bzw. hoffe, dass ich die Familie in den zwei Tagen vor Ort ein wenig ablenken und auf andere Gedanken bringen konnte. Als kleines Dankeschön kochte Neireida für uns, es war super lecker. Zudem schenkte sie uns die gut erhaltenen Schuhe ihres verstorbenen Ehemannes Alejandro. Ich bin nur mit einem alten Paar Schuhe nach Costa Rica gekommen, nun bin ich mit vier Paaren für jedes Gelände bestens ausgestattet. Auch Patrick hat Schuhe für das Meer bzw. den Fluss bekommen, um gut auf Steinen laufen zu können.

Abseits von der Arbeit in Limón 2000 finde ich es wichtig, sich möglichst gut zu integrieren. Ein einfacher Weg dies zu tun, ist Englisch zu unterrichten, da beinahe jeder hier sein Englisch verbessern möchte. Einmal die Woche treffe ich mich mit der Pastorin Mireya, um Englisch zu lernen. Auch viele Mitglieder ihrer Gemeinde sind an Englischunterricht interessiert. Ab kommender Woche findet dann auch Englischunterricht in der Kirche von Pastor Julio statt. Mal schauen, wie sich dies in Zukunft entwickelt. Ein anderes Mädchen namens Launie möchte ihr begonnenes Studium in Deutschland fortsetzen und muss dafür Deutsch lernen. Das Unterrichten der verschiedenen Sprachen ist für mich zudem eine gute Möglichkeit, Spanisch zu lernen.

Die Zusammenarbeit mit zwei Ticos, Herman und Felipe, war in der letzten Woche sehr dienlich für das Schulprojekt und auch ich konnte viel lernen. Der Plan für die Errichtung der Bodenplatte der Bäder wurde fertiggestellt. Ich habe einen Graben ausgehoben, um das Fundament zu setzen. Dieses Fundament dient dazu, Eisenplatten bzw. -stangen zu legen, um einen stabilen Boden an der Stelle zu garantieren, an der das Gebäude auf Säulen steht. Der begonnene Graben muss noch ungefähr 30 cm tiefer werden.

Felipe hat auch den Rest der beiden Bäder samt Kostenvoranschlag fertig geplant. Insgesamt wird es zwei Duschen und zwölf Toiletten geben, davon jeweils drei für Jungen, Mädchen, Frauen und Männer. Zwei dieser Toiletten werden zudem behindertengerecht sein. Dank der Planung wissen wir nun, wie die Leitungen gelegt werden müssen.

Ich bin sehr dankbar für die Hilfe von Herman, einem handwerklich sehr begabten Mann, der in Limón 2000 lebt und in den letzten Jahren schon viel geholfen hat. Er hat die Pläne des Elektrikers noch einmal etwas optimiert und somit Arbeit und Baumaterial eingespart. Ich versuche dieses Wochenende nun, alle Schlitze fertig zu bekommen, da ich die Maschine von Herman nicht zu lange in Anspruch nehmen möchte.

Die erste Steckdose sitzt – alles nicht ganz gerade geworden beim ersten Schlitz, aber es wurde von Schlitz zu Schlitz besser. Zudem sieht man nichts mehr am Ende davon.

Nach Absprache mit Pastor Julio wurden nun auch alle Beete geplant. Außerdem wird der Außenbereich mit neuem Gras angelegt. Der Sohn der Nachbarin war gestern da, um zusammen die Pflanzen auszuwählen, sodass nächste Woche gepflanzt werden kann. Weitere Bilder werden folgen.

Ich bin sehr dankbar für die ganze Unterstützung, die wir erhalten und finde es wichtig, mit den Menschen hier vor Ort zu arbeiten. Man muss auf jeden Fall offen für Ratschläge und Unterstützung bleiben, auch wenn diese manchmal fachlich zu wünschen übrig lassen oder unüberlegt ausgesprochen werden. Ich denke, es ist generell schwer im Leben, alleine Erfolg zu haben und man darf Hilfestellungen nicht als Kritik wahrnehmen, sondern als Chance. Daher ist es schön, hier Entwicklungszusammenarbeit verrichten zu können.

Um den Bau weiter voranzutreiben, benötigen wir dringend Baumaterial. Wenn du die Arbeiten vor Ort unterstützen möchtest, freuen wir uns über jede noch so kleine Spende. Vielen Dank!