Liebe Familie, Freunde, Bekannte und sonstige Interessierte!
Hiermit wende ich mich erstmals an Euch/Sie, um von meinen ersten drei Monaten zu berichten. Ich habe viele neue Menschen und Orte kennengelernt und bin jetzt schon sehr dankbar für diese Erfahrungen. Aber der Reihe nach: Meine Anreise verlief reibungslos und ohne größere Umwege, was, wie ich erfuhr, nicht selbstverständlich ist.
Statt meiner 16 Stunden waren andere Freiwillige die doppelte Zeit unterwegs.
Im Willkommensseminar, das wir die ersten paar Tage widmeten wir uns nochmal in einem den Besonderheiten und Gepflogenheiten des Landes und lernten die Visioneers Verantwortlichen in Costa Rica kennen. Von Anfang an war ich beeindruckt von der Offenheit und Herzlichkeit der Costa Ricaner den sogenannten „Ticos“. Darüber hinaus wurde die Ananas schnell zu meiner Lieblingsfrucht. Im Vergleich zu dem, was in Deutschland als solche verkauft wird, scheint diese hier, ohne zu lügen von einem anderen Stern zu kommen. Sie sind unglaublich gut.
In den ersten Tagen lernte ich auch San José, die Hauptstadt, kennen. Da ich noch nie in einer lateinamerikanischen Stadt war, prasselten ganz schön viele neue Eindrücke auf mich ein. Die Häuser unterscheiden sich sehr von denen in Europa, außer man befindet sich gerade in einer der zahlreichen Shopping Malls. Auch die Kokosnuss, als Erfrischung, ist in Europa schwer aufzutreiben.
Fünf Tage nach meiner Ankunft kam ich dann auch in meiner Gastfamilie und meinem Projekt an. Ich wurde am ersten Abend mit einem wahren Festessen begrüßt und brauchte nicht viel Eingewöhnungszeit, da es sich bei meiner Gastfamilie um sehr angenehme, nette Menschen handelt.
Das Gelände des Projekts ist ziemlich groß und bietet den Kindern neben Klassenräumen einen großen Speiseraum, gepflegte Gärten und sogar eine Sporthalle.
Meine Hauptaufgabe besteht darin, den 2- bis 12-jährigen Sportunterricht zu geben. Die Hälfte der Zeit hilft mir dabei ein Sportlehrer.
Vor allem die ganz Kleinen stellten für mich eine Herausforderung dar, weil mir die Möglichkeiten von 2-4-jährigen nicht bewusst waren. Zu Beginn waren die Übungen deutlich zu schwierig und ich musste einige Schritte weiter vorne anfangen. Allgemein ist mir aufgefallen, dass auch den älteren Kindern viele koordinative Fähigkeiten fehlen. Ich vermute, dass viele von ihnen noch nie Sportunterricht hatten und leider ist auch das Vereinsleben in Costa Rica nicht so ausgeprägt wie bei uns. Unter den Kids sind viele Fußballfans, aber kaum einer spielt in einem Verein. Umso wichtiger ist es, dass die Kinder jetzt durch uns erste Impulse bekommen und sich dann hoffentlich in ihrer Freizeit mehr bewegen. Ein Großteil der Kinder hat jedenfalls Spaß und es gibt keinen Tag, an dem mir nicht gefühlte 30 „hola, profesor de física“ über den Hof zugerufen wird, was mich natürlich freut.
Einen ganz anderen Teil meiner Arbeit absolviere ich in der construcción. Dort werden Häuser für alleinerziehende Mütter gebaut. Unseres ist kurz vor Fertigstellung, weshalb vor allem Streicharbeiten und ein bisschen Putzen anfallen. Dort lernte ich auch einige Amerikaner kennen, die über die Organisation Máximo Nivel einen mehrwöchigen Freiwilligendienst leisten.
Kurzerhand entschlossen wir uns, gemeinsam nach nach Manuel Antonio zu fahren. Nach vier Stunden im stickigen Bus stand ich zum ersten Mal an einem der vielen schönen Strände von Costa Rica. Und wer war natürlich auch da? Touristen aus Deutschland, den USA, Holland, Québec und dem Rest der Welt.
Das ist an sich kein Problem, die nervige Seite davon ist allerdings, dass man als fremdländischer Besucher alle 5 Minuten angesprochen wird ob man etwas kaufen möchte. Denn schließlich möchte jeder an den „reichen Touristen“ mitverdienen.
Man lernt schnell eine wichtige Antwort, in diesem Fall: „No, gracias.“
Bei Ausflügen nach Tamarindo und Jacó sammelte ich meine ersten Erfahrungen beim Surfen. Das Timing und richtige Aufstehen fielen mir am ersten Tag sehr schwer. Kaum war ich auf dem Board, war ich auch schon wieder unten. Mir hat es trotz allem Spaß gemacht. Und schon beim zweiten Mal, mit ein paar Tipps von einem Freiwilligen, der schon besser surfen konnte, klappte es: ich wurde von der Welle mitgenommen. Ein echt krasses Gefühl von der Kraft des Wassers angeschoben zu werden. Nachdem klar war, wie ich die Welle catchen musste, versuchte ich mich am bremsen. Auch das klappte nach einigen Versuchen.
Surfen ist aber nicht das einzig Neue, an dem ich mich versucht habe. Zweimal die Woche besuche ich einen Tanzkurs in der Nähe meines Hauses und lerne die lateinamerikanischen Tänze, direkt von den Costa Ricanern. Mit ihrer Anleitung und einiger Übung wurde ich in den letzten zwei Monaten ein halbwegs anständiger Tänzer. Außerdem gibt es Möglichkeiten Fußball und Volleyball zu spielen, nur Handball ist weder bekannt noch verbreitet.
Zu guter Letzt berichte ich noch kurz von meinen Begegnungen mit den Ticos im Alltag. Warum eigentlich Ticos? Dieser Spitzname rührt angeblich daher, dass sie die Angewohnheit haben, Diminutive wie „tico“ an die Worte dranzuhängen. Ein Beispiel ist „chicitico“ statt „chico“. Und nun da das geklärt ist, zu meinen Eindrücken.
Dank meiner Spanischkenntnisse aus der Schule gab es für mich keine Sprachbarriere und ich konnte mich von Anfang an mit den Einheimischen austauschen, sei es bei Uberfahrten, im Projekt oder meiner Gastfamilie.
Zunächst ist mir aufgefallen, dass man auch mit Fremden unglaublich leicht ins Gespräch kommt. Es gibt kein sprichtwörtliches „Eis“, das gebrochen werden muss. Auf die freundliche Begrüßung folgen häufig direkt einige Fragen, ohne Scheu oder Distanz.
Eine Frage, die einem direkt zu Beginn gestellt wird, ist die nach dem vollständigen Namen (Ticos haben häufig zwei Vor- und Nachnamen) als auch die nach den Namen von Vater, Mutter und Geschwistern. Auch die Fragem ob ich verheiratet sei, kam mir schon ein paar unter. Legitime Frage hier, im stolzen Alter von 20 Jahren 🙂
Neben der Familie spielt auch Fußball eine große Rolle, und da stehen die deutschen Klubs hoch im Kurs. Allen voran, wenig verwunderlich, der FC Bayern München. Richtige Fans, wie mein Gastvater, kennen sämtliche deutsche Fußballlegenden der vergangenen Jahrzehnte. Auch um das Thema der NS-Zeit kommt man hier als Deutscher nicht herum. Der Wissensstand ist allerdings sehr unterschiedlich. Während einige sehr interessiert an Hintergründen und Zusammenhängen sind und sich ausführlich mit der Thematik auseinander gesetzt haben, sind andere sehr von amerikanischen Filmen und deren Darstellung geprägt.
Abgesehen davon ist in den Gesprächen durchaus viel Begeisterung und Interesse an unseren Ländern zu spüren. Sei es Deutschland, Frankreich oder die Schweiz…viele Ticos träumen davon, einmal nach Europa zu reisen, um die berühmten Städte kennenzulernen oder um einfach nur einmal einen Schneeengel zu machen.
Mit diesen Worten verabschiede ich mich fürs Erste.
Nos vemos
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