Meine kleine Welt in Costa Rica

7. Dezember 2017

Ein Artikel aus dem von Patrick Brennecke verfassten Journal „Pura Vida oder Pura Paja“ über den einjährigen Einsatz als Freiwilliger in Costa Rica. Du möchtest mehr von Patricks Welt in Costa Rica erfahren? Du fragst du, was er als Freiwilliger in Costa Rica macht und welche Rolle VISIONEERS e. V. dabei spielt? Dann schau in das Journal! Du findest es hier.

Meine Gastmutter hielt beim Zwiebel schneiden kurz inne und überlegte. „Zwei Tomaten für das Wochenende, einen Bund Koriander für die Bohnen und Eistee.“ Ich nickte und verabschiedete mich. Meine Gastschwester verdrehte die Augen. Sie war mittlerweile an meine Barfüßigkeit gewöhnt, konnte aber doch nie verstehen, wie ich ohne Schuhe vor die Tür gehen konnte. Lachend schwang ich mich auf mein Fahrrad, mit Kraft trat ich in die Pedale. Vorletzte Woche war die Schotterstraße in unserer Nachbarschaft erneuert wurden, sodass es jetzt einen kleinen Höhenunterschied zwischen dieser und unserem Garten gab, der nur mit Schwung überwunden werden konnte. Unser Haus und die der Nachbarn blieben zurück. Es gab zwei Wege zur Pulpería. Ich nahm immer die Schotterstraße an den Wohnhäusern vorbei. Auf der asphaltierten Hauptstraße war allzeit viel Verkehr. Als Fahrradfahrer wäre ich dort wie die einzige noch lebende Mücke im Schlafzimmer meines Vaters. –

Die Ticos saßen auf den Terrassen ihrer Häuser und alle grüßten lächelnd. Auf der linken Seite kam das Ackerfeld und der darauf arbeitende Señor schaute schwitzend von seinen Bohnenpflanzen auf und winkte. Ich merkte die Sonne auf meine Arme brennen. Wenn ich vom Fahrrad absteige, werde ich anfangen zu schwitzen, aber noch hielt mich der Fahrtwind davon ab. Die bunten Holz- und Betonhäuser zogen an mir vorbei. Der Stromzaun über der Mauer des großen Hauses aus Backsteinen knisterte wie immer und auch der Müllhaufen befand sich an gewohnter Stelle. Die Geier flohen in den nächsten Baum, als ich herankam. In der Kirche besangen ein paar Menschen die Gnade Gottes und nebenan lagen die Männer der Autowerkstatt in ihren Hängematten. Sie hatten keine Kundschaft. Die Pulpería lag auf der rechten Seite der Schotterstraße.

Der Eingang war jedoch an der Hauptstraße und ich musste das Gebäude umrunden. Beim Abbiegen erkannte ich ein paar Schüler aus dem Colegío, der weiterführenden Schule, an ihren beigen Uniformen. Im Colegío unterrichtete ich als Freiwilliger. Vor dem Eingang der Pulpería lag die Kreuzung und auf der anderen Straßenseite die Grundschule. Anfangs unterrichtete ich auch hier, mittlerweile lag mein Fokus auf dem Colegío. Hier an der Kreuzung startete die Straße von Río Blanco, eine meiner Lieblingsrouten mit dem Fahrrad. Oft folgte ich der Straße bis hoch in die Berge. Auch mein Mentor wohnte in dieser Straße. Alles war nah dran, alles konnte ich gut mit dem Fahrrad erreichen. Ich stieg ab und betrat den kleinen Laden mit seinen drei Regalen. Auf kleinstem Raum fand ich hier stets mehr Lebensmittel als in jedem deutschen Supermarkt. „Pura Vida, Mae“, begrüßte mich der Besitzer mit der Faust. Ich schlug ein. Wir kannten uns gut, ich kam oft. Schnell hatte ich in meinen Händen alles, was meine Gastmutter mir zu kaufen aufgetragen hatte und ich stellte mich an die Kasse. „¡Patrick! ¿Cómo estás?“, fragte mich jemand, wie es mir gehe. Ich erkannte Carlos und lächelte. Carlos war einer der Männer, die in Limón2000 an der Schule bauten. Von meinem Haus aus lag Limón2000 in der entgegengesetzten Richtung als die Pulpería. Diese Gemeinde war eine Welt für sich.

Hier lebten die Ärmsten der Armen; hier sah man das Elend in den Straßen und direkt daneben die Kinder mit Murmeln spielen. Als Lehrer zeigte Limón2000 mir stets seine Schokoladenseite. Zu mir waren die Menschen allzeit nett. In diesen Straßen lebte durchaus eine fröhliche Gemeinde – aber auch die Verzweiflung. Meine Gastfamilie hatte Angst vor dem Ort. Sie betraten ihn nie. Ich betrat ihn jeden Abend. In meiner Einsatzstelle gab ich Englischkurse. Menschen lachten nirgendwo anders so viel beim Lernen einer Sprache wie hier. Nach den Kursen war stets bereits Nacht. Dann sah auch ich schon mal Menschen mit Waffen herumschießen. –

„Mir geht es gut“, antwortete ich ehrlich auf Carlos‘ Frage. Wir fingen an über seine Familie zu sprechen und er interessierte sich für die Meinung meiner Eltern zu meinem Leben in Costa Rica. Als wir uns verabschiedeten, beschlossen wir, in der nächsten Woche einen Tag mit seiner Familie und mit Isabel, meiner Mitfreiwilligen, am Strand zu verbringen. Ich schwang mich wieder auf mein Fahrrad und radelte langsam zurück über die bekannte Schotterstraße. Ich passierte die bunten Häuser und die lächelnden Gesichter von Freunden. Zuhause angekommen, erwartete mich meine Gastmutter bereits.