Wie wichtig Mentorenprogramme sind – wenn im Gesicht Krieg steht II

29. November 2016

Erfahrungen aus dem Schulalltag mit Flüchtlingskinder, die zeigen, wie wichtig ein Mentorenprojekt wie das von Visioneers e.V. ist: Für Kinder genauso wie für Erwachsene.

Sie reden nicht viel. Die zwei Zwillingsschwestern aus Afghanistan schweigen, wenn im Deutschunterricht die bunt zusammengewürfelten Flüchtlingskinder Zeit haben, von ihrem Weg nach Deutschland zu erzählen. Ihre glatten schwarzen Haare umspielen dabei ihre braunen Augen, die sich auf dem langen Weg von Afghanistan verloren haben. Über Pakistan wollten die Schwestern mit ihrer Familie fliehen, doch an der Grenze zum Iran kamen sie nicht weiter. Polizisten schossen auf die Füße der Mädchen. Immer wieder schrie der Vater: „Schnell, schnell rennt weg!“ Die Familie musste zunächst umkehren nach Afghanistan, doch sie versuchten es erneut, über die Grenze in den Iran zu fliehen, heimlich zu Fuß. Heimlich blieben sie auch dort, bis der Weg in die Türkei frei war. Und dann, erneutes monatelanges Warten bis sie genügend Platz für die gesamte Familie in einem Schlauchboot nach Griechenland fanden. In Griechenland setzten sie ihre Reise mit verschiedenen Verkehrsmitteln fort, oft aber liefen sie zu Fuß. Über Bulgarien, Kroatien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland setzte sich ihr Weg fort. Die Schwestern möchten nur bedingt wieder zurück in ihr Heimatland, sie sind froh, hier in Deutschland angekommen zu sein, hier lernen zu dürfen. Eine von ihnen möchte gern studieren und Designerin werden. Eine weitere Klassenkameradin aus Syrien möchte hier ebenfalls studieren – Architektur, um dann ihr Land nach dem Krieg in Syrien wieder aufbauen zu können, vor allem auch deshalb, um ihre eigene Zukunft aufzubauen. Dieses syrische Mädchen mit ihren 14 Jahren ist körperlich gezeichnet vom Krieg. Auf den ersten Blick nicht sichtbar, zeichnen sich an ihren Händen Narben. Ihrer kleinen Schwester, die erst kürzlich aus der Grundschule auf die Sekundarschule kam, auch sie hat Narben davongetragen, deutlicher sichtbar, fehlen Fingerteile.

Wie mutig man doch sein darf, wenn man zu zweit ist

Jedes der Kinder trägt seine eigene Geschichte vom Krieg und von der Flucht mit sich herum. Als Lehrer, der täglich mit ihnen mehrere Stunden verbringt, kennt man bereits einige Geschichten, erfährt vom Leben in Syrien vor dem Krieg, von Traditionen und sieht Fotos der alten Heimat. Dass auch die deutschen Kinder ihre neuen Mitschüler näher kennenlernen, ist wichtig, gerade jetzt nach diesem Vorfall in der Pause. Die deutschen Schüler, die beteiligt waren, werden in ihren Klassen während des Unterrichts besucht. Es werden die Geschichten der Flüchtlingskinder erzählt und es wird ein Gespräch über die eigenen Ansichten und zur aktuellen Situation angeregt. Zusätzlich wird die Idee der Patenschaft vorgestellt. Diese Patenschaft besteht aus jeweils einem deutschen Schüler oder einer deutschen Schülerin und einem geflüchteten Kind, Sie knüpfen eine Patenschaft, um sich kennenzulernen und um sich auszutauschen, auch um sich sowohl bei der deutschen Sprache als auch beim Lösen von Mathematikaufgaben zu helfen. Wenn daraus auch über die Schule hinaus eine Bindung entsteht und bleibt, ist das Ziel erreicht.

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Mit kleinen Schritten soll sie eingerissen werden, die unsichtbare Fassade, die uns trennt von den Menschen aus anderen Ländern. Der Visioneers e.V. verfolgt mit seinem Mentorenprojekt das gleiche Ziel, um geflüchteten Menschen in Berlin zu helfen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dabei handelt es sich um Hilfe im Alltag, beim Lernen der Sprache, bei beruflichen Perspektiven oder bei der Wohnungssuche. Unterstützt werden auch die Mentoren, die ehrenamtlich ihre Zeit und Hilfe den Geflüchteten anbieten. Bei Workshops und regelmäßigen Treffen des Visioneers e.V. können sie sich austauschen und Fragen stellen.

Zwei Menschen als Tandem, zwei Menschen aus verschiedenen Kulturen, die sich quasi symbolisch gemeinsam auf ein Fahrrad schwingen und zusammen in eine Richtung fahren, ihre Kräfte bündeln, um voranzukommen, um mit Freude am neuen Leben teilzunehmen. Denn zu zweit geht’s immer leichter.