Die Rückreise so wie ich sie mir nie vorgestellt habe..

11. Mai 2020

Wir sind von der kleinen Stadt Villa Rica, im Zentralregenwald Perus, in die Hauptstadt gefahren und befinden uns schließlich in Lima. Am nächsten Tag geht unser Rückholflug nach Deutschland. (Die Geschichte, wie es dazu gekommen ist, kannst du hier auf meinem Blog nachlesen).

Wir schauen nochmal in der Uber-App nach, um sicherzugehen, dass wir morgen auch wirklich eine Fahrmöglichkeit von unserer Unterkunft zum Treffpunkt der deutschen Botschaft haben. In der App stand: „Dieses Angebot ist an deinem Standort momentan nicht verfügbar.“. Wir versuchen es mit anderen Taxiapps, doch immer wieder das gleiche. In der Email der deutschen Botschaft stand zwar, dass manche Taxiunternehmen und einige unabhängige Taxis noch arbeiten, aber wir wollten uns nicht auf die Straßentaxis verlassen. Also riefen wir unseren Kollegen Martín an, um ihn zu fragen, ob er uns abholen kann. Selbstverständlich, meinte er.

Treffen mit der deutschen Botschaft

Am Montagmorgen stehen wir früh auf, frühstücken den Rest, den wir noch haben: Joghurt, Müsli mit ein bisschen Wasser gestreckt. Dann machen wir uns und unsere Sachen fertig und gehen nach unten. Wir stehen kaum 3 Minuten am Straßenrand, da kommt Martín auch schon mit dem Auto angefahren. Zusammen mit Martín fahren wir die 20 Minuten zum Treffpunkt. Meine letzte Fahrt durch Lima. Die Straßen sind ruhig, aber es sind schon manche Menschen draußen. Autos sind nur wenige unterwegs. Wir werden ein paar Mal vom Militär kontrolliert, die Sicherheitskräfte winken uns aber schnell durch, sobald sie unseren Passierschein der deutschen Botschaft sichten.

Wir kommen am Treffpunkt an, schleppen unsere Sachen Richtung Eingang und stellen fest, dass die Menschen in einer langen Schlange davor anstehen. Wir gehen also zum Ende der Schlange. Dafür gehen wir bis zum Ende der Straße, biegen rechts ab und laufen nochmal einen halben Block. So lange ist die Schlange – und das meist ohne den Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern. Ca. 300 Personen werden heute bei dem Rückholflug mitfliegen.

Martín wartet mit uns. Ich glaube, er war ein bisschen begeistert, das alles mitzuerleben. Er sagt halb im Spaß, dass er schon immer mal mit so vielen Deutschen auf einen Haufen zusammen sein wollte. Später, als wir dann schon bis um die Ecke vorgerückt sind, kommentiert er: „Die Deutschen sind ganz schön ruhig. Ich höre kaum irgendjemanden lachen.“. Das stimmt wirklich. Und ich glaube, es liegt nicht nur an der Situation, wir sind einfach generell etwas ernster als die Peruaner.

Nach und nach kommen mehr und mehr Deutsche an. Es sind aber auch einige Peruaner dabei, die einen dauerhaften Wohnsitz in Deutschland haben. Vor uns ist z.B. eine Peruanerin in den 50ern oder 60ern mit einem großen getigerten Koffer. Sie erklärt uns auf Spanisch, dass sie ihre Eltern hier besuchen wollte und erst seit zwei Wochen hier ist. Jetzt nutzt sie die Gelegenheit, um wieder zurück nach Deutschland zu fliegen – denn wer weiß schon, wann es normal wieder möglich ist? Sie muss ja schließlich auch zurück zu ihrer Arbeit und Wohnung..

Als wir schließlich am Eingang sind, verabschieden wir uns nun endgültig von Martín. Wir müssen die Hände waschen und den Pass vorzeigen. Bei den Mitarbeitern der deutschen Botschaft herrscht soweit recht gute Laune. Einer fragt mich, warum ich denn so ein Gesicht ziehe, ob ich nicht ausreisen will. Ich könnte auch gerne hier bleiben. Er zeigt auf die andere Seite des Tores, wo einige Leute auf dem Gehweg am Boden sitzen. „Sie können gerne einem von denen ihren Sitzplatz überlassen, die haben nämlich noch keinen.“ Ich verneine die Frage und sage ihm, dass ich gerne geblieben wäre. Er legt den Kopf schief und schaut mich abschätzend an. „Lassen Sie mich raten, Sie sind weltwärts-Freiwillige?“ Ich nicke. „Tut mir Leid, dann müssen wir Sie wohl mitnehmen.“, meinte er mit einem Grinsen. Ich grinse halb zurück: „Ich weiß.“

Drinnen treffe ich auf unsere Ansprechpartnerin der deutschen Botschaft. Wir unterhalten uns ein bisschen und sie erzählt mir, dass in unserem Flieger wohl mindestens 30 weltwärts-Freiwillige nach Deutschland zurückkehren werden. Ich frage sie, ob sie denn auch nach Deutschland zurückkehrt und sie verneint die Frage. Wir wünschen uns gegenseitig alles Gute und verabschieden uns.

Nach ein bisschen Warten steigen wir in den Bus ein. Es dauert ein bisschen, bis sich dieser bewegt. Wir passieren das Tor und sehen Martín, der immer noch draußen wartet. Er winkt und schießt Fotos.

Busfahrt zum Flughafen

Schließlich fahren wir los. Nach einigen hundert Metern sehe ich, wie neben unserem Bus ein graues Auto fährt, der Fahrer hupt. Ich schaue genauer hin: es ist wieder Martín. Er ist doch tatsächlich dem Bus ein Stück hinterhergefahren..

Überall wo das Militär patrouilliert, werden wir ohne jegliche Kontrolle durchgelassen. Wahrscheinlich wurden die Sicherheitskräfte schon im Vorfeld über die deutsche Rückholaktion und die Busse, die zum Flughafen fahren werden, informiert. Langsam verlassen wir die Wohngebiete und biegen ab auf die mehrspurige Straße, die hinunter zum „Circuito de Playas“, der Straße am Meer führt. Normalerweise liebe ich es, an dieser Straße mit dem Meerblick entlangzufahren. Doch heute ist es einfach nur seltsam und traurig. Mein letztes Mal für unbestimmte Zeit. Außerdem ist die Straße außer uns, den zwei oder drei Bussen, die mit Polizeieskorte – Polizeimotorräder vorne, hinten und seitlich – unterwegs sind, komplett leer. Wir verlassen die Straße, fahren durch das Viertel San Miguel und von dort schließlich nach Callao.

Ich schaue aus dem Fenster. Lange Schlangen von Männern (heute ist Montag, Männertag), die alle mit Abstand voneinander vor Banken, Supermärkten oder Apotheken anstehen. Manche bemerken uns gar nicht, schauen auf den Boden oder auf ihr Handy, andere wiederum schauen zu uns hoch. Manchmal trifft sich unser Blick und bleibt kurz aneinander hängen. Wegen der Mund-Nasen-Masken, die wir tragen, sehen wir das Gesicht des anderen nicht, nur die Augen. Was sie wohl denken, wenn sie die Busse voller „Gringos“ in Polizeibegleitung Richtung Flughafen fahren sehen? Dass die Gringos gerne Perú besuchen, um dort zu reisen und die Landschaft zu genießen, aber dann doch lieber in ihr sicheres europäisches Land abhauen, wenns brenzlig wird?

Eigentlich habe ich mich in Perú mittlerweile so eingewöhnt, ja mich schon so weit angepasst oder auch assimiliert, dass ich mich manchmal mehr mit den Peruanern verbunden fühle, als mit meinen Landsleuten. Als ich so die Peruaner draußen anschaue, fühle ich mich ein bisschen wie ein Verräter…

Wir kommen schließlich am Militärflughafen an. Unser Flug geht von dort aus, da der normale Passagierflughafen in Lima ja momentan nicht mehr in Betrieb ist. Wir fahren über das Rollfeld zu einem Platz, an dem provisorisch Zelte und in diesen Plastikstühle aufgestellt sind. Ein Bundeswehrsoldat kommt in den Bus und gibt uns Anweisungen. Er klingt wirklich wie einer, der es gewöhnt ist, Soldaten Anweisungen zu geben: „Sie steigen jetzt da aus, sammeln ihr Gepäck ein und setzten sich dann jeder auf einen Plastikstuhl. JEDER auf EINEN Plastikstuhl. Nicht zwei auf einen.. Verstanden?! Das war wohl vorhin nicht ganz klar..“ Die Leute im Bus schmunzeln kurz. „Noch Fragen?“

Wir begeben uns in die Zelte, wo uns Soldaten des peruanischen Militärs auffordern, unser Gepäck in die Mitte zu stellen. Es werden nochmal die Pässe kontrolliert, unser Gepäck bekommt den Gepäckaufkleber, Drogenhunde gehen durch. Dann wird unser Gepäck mitgenommen und wir werden aufgefordert, wieder in den Bus zu steigen. Dieser fährt dann 100 Meter und bleibt für ein paar Minuten stehen. Dann fährt er wieder aufs Rollfeld und hält in der Nähe eines Lufthansaflugzeugs, unser Flugzeug.

Wir müssen nochmal ca. eine halbe Stunde warten, bis wir einsteigen können. Drinnen warten wir nochmal ungefähr die selbe Zeit. In der Zeit telefoniere ich nochmal mit Eli und der Abel-Familie, der Familie, meiner Kollegen Carlos, Cely und Lizz. Sie wünschen mir einen guten Flug und sagen, dass sie mich jetzt schon vermissen.

Rückflug von Peru nach Deutschland

Ich sitze in der Mitte, in unserer Viererreihe bin ich die einzige Deutsche, neben mir sitzen lauter Peruaner. Irgendwie tröstet mich das ein bisschen. Schließlich geht es los: der Pilot macht eine Ansage, entschuldigt sich dafür, dass sie heute nicht den gleichen Service wie sonst anbieten können, es gibt kein warmes Essen, da die Lebensmittel aufgrund von Corona sowohl in Perú als auch in Deutschland nicht geliefert werden konnten. Dafür hat jeder einen Karton auf dem Sitz mit Nudelsalat, Croissant und einer Menge deutscher Snacks und Süßigkeiten. Und das Multimediaprogramm funktioniert auch.

Außerdem erwähnt er, dass die gesamte Crew uns trotz der Situation gerne nach Hause fliegt – und dass die Welt zuhause ein bisschen anders aussehen wird, wie als wir sie verlassen haben.