Die Regenzeit hat angefangen…

 

Hola an alle, ich melde mich mit meinem zweiten Beitrag aus Peru

Mittlerweile ist Dezember und seit einigen Wochen hat hier die Regenzeit begonnen. In der Regenwaldregion Perus dauert der Sommer ungefähr von April bis Oktober mit wenig Regen, und ab November nehmen die Niederschläge stetig zu. Laut dem Modell des peruanischen Ministeriums für Meteorologie und Hydrologie (SENAMHI) können in einem Monat bis zu 800 mm Regen fallen, was ungefähr dem entspricht, was in Bochum innerhalb eines Jahres fällt. Ich arbeite hier unter anderem daran, die klimatische Situation in den Gemeinden, mit denen wir im Rahmen der Zonierung (was ich im ersten Beitrag ein wenig erklärt habe) zusammenarbeiten, zu analysieren. Direkte Wetterdaten von Stationen sind hier kaum verfügbar und oft nur eingeschränkt zugänglich, daher bin ich auf Modelle angewiesen, die unter anderem auf Satellitendaten basieren.

Der viele Regen hat natürlich auch Folgen, nicht nur für die Menschen in den Gemeinden, die diese teilweise kaum verlassen können, wenn die Flüsse zu hoch und die Strömung zu stark ist, um sie zu Fuß zu überqueren. Auch unser Arbeitsweg zu den Gemeinden wird schwieriger, je mehr Regen fällt. Die Straßen sind häufig nicht asphaltiert, sodass der Schlamm zur Herausforderung wird. Außerdem kommt es zu Erdrutschen und Bergstürzen, die die Straßen versperren können, sodass sie mehrere Stunden nicht befahrbar sind.

Die Flüsse steigen meist rasant an und führen nach starken Niederschlägen viel Sediment mit sich. Leider ist für viele Menschen in den Gemeinden häufig der einzige Zugang zu Wasser ein Fluss oder Bach, da es keine Frischwasserleitungen gibt. Im Rahmen unserer Arbeit haben wir daher auch eine Wasseranalyse eines Flusses in einer Gemeinde durchgeführt. Neben der qualitativen Analyse haben wir die Flüsse auch vermessen, um den Abfluss zu berechnen.

Abgesehen von den vielleicht etwas technischen Problemen steigt in der Regenzeit auch das Risiko für Erkrankungen, die vor allem von Mücken übertragen werden, wie z.B. das Denguefieber.

Außerdem haben wir ein paar Aufnahmen mit der Drohne gemacht und weitere Daten in der Gemeinde erfasst. Um die Bilder der Drohne später korrekt zu verarbeiten, haben wir Referenzpunkte markiert. Auf dem Bild sieht man den roten Punkt und den Kreis aus Kreide; ich speichere gerade die Koordinaten. Das andere Bild zeigt die Drohne und zwei Feuerwerkskörper. Wofür die sind? Anscheinend haben die Adler hier die Angewohnheit, Drohnen aus der Luft zu fangen, was weder für die Drohne noch für das Tier ein gutes Ende bedeutet. Daher haben wir, sobald wir einen Adler kreisen gesehen haben, den Feuerwerkskörper gezündet, um ihn zu verjagen.

HEIMKOMMEN

Und dann steht die Sonne plötzlich wieder im Süden und der Mond nimmt wieder von der richtigen Seite zu und ab. Wo ich vor einigen Tagen noch umgeben war von Regenwald, singenden Vögeln, fiependen Insekten und den bellenden Hunden auf den Straßen, dieser unglaublichen Biodiversität und all den Menschen, welche mich in den letzten Monaten begleitet haben, finde ich mich nun zwischen all dem fremden Bekannten wieder. Denn ich bin wieder in Deutschland, bin wieder „daheim“, bin wieder umgeben von all dem, was ich vor Monaten zurückgelassen habe, um meinen eigenen Weg zu gehen, fernab von meiner Familie, von meinen Freunden, von all dem Bekannten, um ein Abenteuer zu erleben, um neues zu sehen, um über mich selbst hinauszuwachsen, um zu leben. Und jetzt stehe ich an demselben Ort, wie vor einem halben Jahr als alles begann und erinnere mich an den Anfang zurück.

Ich stehe am Flughafen mit meinen Koffern, kurz vor dem Sicherheitsbereich und verabschiede mich von meiner Familie, das Herz so schwer, die Tränen laufen, und doch setze ich einen Schritt vor den anderen und mache mich schweren Herzens auf den Weg in das ferne, noch so unbekannte Peru. Ich habe nicht viel dabei, ein paar vereinzelte Worte Spanisch und ein kleines Päckchen Mut, welches mir in den kommenden Monaten so einige Male weiterhelfen wird.
Ich komme in Lima an, fühle mich sofort unwohl in dieser riesigen Stadt, der Verkehr ist so unübersichtlich, alles so groß und laut und erdrückend, so unfassbar fremd und weit weg von all dem Bekannten, von allem, an dem ich mich normalerweise festhalten würde. Doch hier bin ich zunächst allein. Ich verstehe die Sprache nicht, versuche mich mit Google-Übersetzter vom Flughafen zum Hostel durchzuschlagen, wo ich auf die anderen Freiwilligen treffe. Schon in den ersten Tagen in Lima verstehen wir uns blendend und wachsen schon bald nicht nur zu einem guten Team, sondern zu einer Familie zusammen, die sich gegenseitig Halt gibt und sich anspornt und immer ein offenes Ohr für den anderen hat.

Nach einigen ungewissen Tagen in Lima, vielen Telefonaten nach Hause, vielen Zweifeln, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist, mich von meinen Füßen durch die Sicherheitskontrolle tragen zu lassen und nicht vorher kehrtzumachen und mich nicht auf all das hier, das Fremde und Ungewisse einzulassen, geht die Reise endlich weiter, ins ruhige Villa Rica, wo ich mich ab der ersten Sekunde so unfassbar wohl und aufgehoben fühle. Die Ankunft lässt viele meiner Zweifel, meiner Sorgen und Ängste verfliegen und weckt die Neugierde, die Aufregung, die Abenteuerlust in mir. Mit offenen Armen werden wir herzlichst empfangen, treffen auf eine weitere Freiwillige, auf unsere Chefin und Programleiterin und viele weitere Mitarbeitende und lernen das ganze Team ATIYCUY kennen. Natürlich ist es zu Beginn ein wenig überfordernd auf so viele fremde Gesichter zu treffen, die mich kennenlernen wollen, die mir Fragen stellen, zu meiner Familie, meinen Hobbies, meinen Lieblingsessen, doch mein Spanisch gibt zu diesem Zeitpunkt leider nicht viel mehr her als „Hola, me llamo Tamara y tengo 19 anos“.
Aus diesem Grund können wir in den ersten Wochen leider nicht sofort mit der Arbeit im Projekt starten, sondern machen uns erst einmal daran, unser Spanisch zu verbessern und die Sprachbarriere zu überwinden. Stück für Stück werden wir immer mehr ein Teil vom Team und der Familie ATIYCUY. Nach den ersten Wochen der Eingewöhnungsphase wurden wir unseren Projekten zugeteilt. Josua und Lara, zwei meiner Mitfreiwilligen, werden dem Kinderpatenprogramm ANNA und dem Kulturerhaltungsprogramm REYA zugeteilt, während ich neues Mitglied im Umwelterziehungsprogramm EDA werde.

Das Programm EDA

EDA kümmert sich vor allem darum, Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Villa Rica, den Centros Poblados und den Comunidades einiges zu verschiedenen Themen, welche die Umwelt betreffen, beizubringen. Beispielsweise werden verschiedene Workshops zu Themen wie Nachhaltigkeit, Kohlenstoffkreislauf, Rechte bei Verkauf von Holz und anderen Ressourcen, Ökosystemdienstleistungen, der Weg des Wassers und vieles mehr durchgenommen.
Alle Abläufe und Aufgaben des Programms auf Spanisch erklärt zu bekommen ist zu diesem Zeitpunkt zwar immer noch nicht ganz einfach, aber mit Nachfragen und selbstständigem Kombinieren kann ich doch einiges verstehen und von Anfang an viele Aufgaben und Verantwortung übernehmen. Ich versuche mich im Team einzubringen und meinen Koordinator Beder und Julio, seine Assistenten, bei ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen. Von der Vorbereitung des Materials für die Workshops, über administrative Aufgaben im Büro, der Planung von Kostenvoranschlägen bis zur Dokumentation von Workshops bin ich für jede Arbeit, die anfällt, zur Stelle und darf meine eigenen Ideen und Vorstellungen stets in unsere Arbeit einfließen lassen.
Die ersten Ausflüge in die Comunidades stehen auch schon früh an. Tief im Regenwald darf ich auf Yanesha Dörfer treffen, mit welchen wir zusammenarbeiten, darf ihre Kultur näher kennenlernen, erfahren, wie sie vom Wald leben und wie der Wald sie mit allem versorgt, was sie für ihr Leben benötigen. Ich fühle mich ein weiteres Mal mit offenen Armen in Empfang genommen, bin fasziniert von der Lebensweise der Yanesha und denke viel über mein eigenes Leben nach.
Die Tage und Wochen und Monate streichen ins Land und ziehen nur so an mir vorbei. Ich finde mich wieder, wie ich durch die befahrenen Straßen Villa Ricas spaziere und den Trubel um mich herum genieße. Der Verkehr, ein einziges Chaos, lautes Hupen übertönt die Motorgeräusche. Ich treffe auf bekannte Gesichter, grüße im Vorbeigehen und fühle mich wohl in den mittlerweile so bekannten Straßen und Gassen. Ich lerne, mir durch einen Spaziergang oder eine Laufeinheit einen Ausgleich zu dem sonst so stressigen Arbeitsalltag zu schaffen, etwas abzuschalten und mich von den Geräuschen, vom Trubel um mich herum und von dem, was ich ganz tief in mir fühle und empfinde, tragen zu lassen.

7 Monate Peru – ein Fazit

Da sich mein Freiwilligendienst in Peru langsam dem Ende zuneigt, möchte ich heute meine Erfahrungen, Herausforderungen und mein Fazit mit euch teilen.
Die sieben Monate sind schneller verstrichen, als ich es zu Beginn erwartet hatte. Obwohl ich mir im Vorhinein sehr viele Gedanken zu meinen Plänen und Erwartungen gemacht habe, war hier doch vieles anders. Manche Ziele haben an Relevanz verloren, andere kamen dafür hinzu und wiederum andere habe ich eher nebenbei erreicht, als sie aktiv zu verfolgen.

Meine Herausforderungen

Während der ersten drei Monate war die Sprache meine größte Herausforderung. Die Erwartung, nach den sieben Monaten eine neue Sprache fehlerfrei zu beherrschen, habe ich recht bald aufgegeben. Am Anfang konnte ich mich kaum ausdrücken und verstand vieles auch nicht. Auch jetzt mache ich wohl noch des Öfteren grammatikalische Fehler oder verstehe bestimmte Wörter nicht, aber mit der Zeit habe ich vor allem in Gesprächen gelernt, mich immer besser zu verständigen und konnte große Fortschritte machen.
Eine weitere persönliche Herausforderung war für mich das Essen hier. Zugegebenermaßen habe ich weniger „exotische“ Speisen probiert als ich erwartet hatte, aber dennoch war es eine Umstellung, da ich es hier als Vegetarierin nicht leicht gehabt habe. So habe ich es nach ein paar Monaten aufgegeben, meine Ernährungsweise ohne Fleisch beizubehalten.
Zu Beginn fand ich es auch schwierig, mich den Bedingungen anzupassen, die in den indigenen Dörfern dem normalen Lebensstandard entsprechen, wie beispielsweise dem Fehlen von fließendem Wasser oder von Toiletten. Nach den ersten Monaten konnte ich mich jedoch auch daran gewöhnen und so wurden die Fahrten in die Dörfer auch zunehmend entspannter für mich.

Ein Tag in meinem peruanischen Zuhause

5.30 Uhr, der laufende Motor eines Autos reißt mich aus dem Schlaf. Kurz darauf höre ich die Haustürklingel. Ich ignoriere sie gekonnt und hoffe noch im Halbschlaf, dass sich schon jemand erbarmen wird aus dem Bett zu kriechen, um die Tür zu öffnen.  Bevor mein schlechtes Gewissen beginnt mich noch im Schlaf zu plagen, höre ich, wie die Haustür mit einem lauten Klickgeräusch aufspringt. „Gracias Fenja, Gracias!“ bedanken sich die Stimmen. Kurz lausche ich dem Gewusel und den Stimmen im Büro unter mir, höre wie noch in letzter Eile der Drucker betätigt und Materialien zusammengesucht werden, bevor das Haustürschloss noch einmal laut klickt und die Stimmen, gemeinsam mit dem lauten Motorengeräusch, in der Ferne verschwinden.
Eines der Programme hat sich wohl gerade in aller Früh, auf den Weg zu einem der Yanesha Dörfer gemacht, um dort einen Workshop oder ähnliches mit den Comuneros, also den Dorfbewohner:innen durchzuführen. Ich genieße in diesem Moment aber die Gewissheit, noch ein paar Stunden schlafen zu können, bevor mein Wecker mich unermüdlich aus dem Schlaf klingeln wird.

7.30 Uhr, mein Handy vibriert und versucht, mich mit diesen unangenehmen Geräuschen zu wecken. Verschlafen strecke ich meinen Arm danach aus und drücke ohne weiter darüber nachzudenken die Schlummertaste. Weitere 10 Minuten später versucht es mein Handy nochmals. Diesmal mit mehr Erfolg. Immer noch verschlafen und benebelt vom Traum, steige ich vorsichtig meine Hochbettleiter hinunter. Mein Fuß rutscht ab und ich kann mich im letzten Moment noch fangen, bevor mir der Boden immer näherkommt. Dieser kleine Schock am Morgen reißt mich vollends aus meiner Traumwelt und bringt mich in die Realität dieses heutigen Tages.

Ich richte mich kurz im Bad und dann folgt auch schon der morgendliche Besuch in der Küche bei Lindy, die schon fleißig damit beschäftigt ist, das Frühstück herzurichten. „Buenas Días, Tamara“, begrüßt mich ihre freudige Stimme. „¿Podrías ir a comprar el pan?“, frägt sie mich. Keine 2 Minuten später mache ich mich auch schon auf den Weg zur nächsten Bäckerei, um Semmeln für das Frühstück zu holen. Von der ruhigen Nebenstraße, in welcher sich das Casa ATIYCUY befindet, wechsele ich auf die am nächsten gelegene Hauptstraße. Der Lärm und das Chaos, die vielen Autos und Mototaxis treiben den letzten Rest Müdigkeit aus mir heraus. Nach dem Besuch bei der Bäckerei schaue ich auf dem Rückweg noch bei einem Gemüsestand vorbei, um zwei Avocados zu kaufen, wie Lindy es mir aufgetragen hat. Die Verkäuferin erkennt mich schon von Weitem und bringt mir ihr strahlendes Lächeln entgegen, als ich mich ihrem Stand nähere. „¿Cuántos paltas quieres?“, fragt sie mich, wohlwissend, dass ich für die Avocados hier bin. Ich unterhalte mich kurz mit ihr und setze kurz darauf, mit Avocados im Gepäck, meinen Rückweg fort. Wie schön es doch ist, immer mehr ein Teil von diesem fremden Ort zu werden, einst so fremde Gesichter auf der Straße wiederzuerkennen und selbst erkannt zu werden, denke ich mir. Wieder zurück sitzen die anderen Freiwilligen sowie ein paar der Mitarbeiter:innen schon am Tisch und haben bereits mit dem Frühstücken begonnen.

8.30 Uhr (oder eher 9.00 Uhr) Vom Frühstückstisch mache ich mich auf den Weg ins Büro, starte den Computer, checke E-Mails und übernehme schon mal ein paar morgendliche Aufgaben, während ich auf meinen Projektkoordinator Beder warte. Nach seinem Eintreffen informiere ich mich darüber, was denn heute alles so ansteht und welche Aufgaben mir zu Teil werden. Beder nimmt sich ein Blatt zur Hand und schreibt, oder wohl eher skizziert auf, was heute alles zu erledigen ist. Ob ich das alles später noch entziffern kann, steht aktuell noch in den Sternen, aber mit diesem Problem kann sich mein Zukunfts–Ich in zwei Stunden befassen. Mein aktuelles Ich macht sich erst einmal daran, alle Belege und Kassenzettel der letzten Woche zu sammeln, zu überarbeiten und die Ausgaben mit Bildern zu belegen. Daraufhin wechsele ich vom Computer auf meinen Laptop und beginne, die Präsentation für den Club Ecológico, der sich am Samstag wie jede Woche im Casa ATIYCUY treffen wird, vorzubereiten. Diese Woche sprechen wir über „Pérdida del bosque y el calentamiento global“, das heißt, wir bringen den Jugendlichen aus Villa Rica und dem nahe gelegenen Dorf Ñagazu etwas über den Zusammenhang zwischen Waldverlust und Klimawandel bei. Die Zeit fliegt nur so dahin, die vormittägliche Müdigkeit, welche vor kurzem noch in der Luft hing, wird von dem Duft des Mittagessens vertrieben. Was hat Lindy wohl heute leckeres gezaubert? Salsa de Maní vielleicht? Ein Blick in die Küche verrät mir, dass ich falsch liege, aber zu Falafel mit Reis und den verschiedensten Soßen sage ich auch nicht nein.

„Come, come!“ fordert mich unsere Chefin Eli auf, mir einen Nachschlag von dem Essen zu nehmen. „No gracias, tengo buchisappa“, gebe ich wohlgesättigt zurück, bevor ich mich kurz darauf auf die Suche nach etwas Ruhe mache. Eine Tasse Kaffee, ein bequemer Sessel und die Aussicht auf verschiedenste Vogelarten, welche munter zwitschernd von Ast zu Ast hüpfen. Für einen kurzen Moment des Tages halte ich den Atem an und genieße die Stille. Kein Gewusel um mich herum, keine Unterhaltungen, kein Druck erreichbar und einsatzfähig sein zu müssen. In dieser Minute muss ich nicht für jede Situation gewappnet sein. Es gibt kein Chaos, nur mich und die Ruhe um mich herum, die hin und wieder von dem Bellen der Hunde durchbrochen wird.
Ich atme durch, nehme einen Schluck meines Kaffees und vergesse für einen Augenblick den Stress und die Arbeit. Eine Nachricht nach Hause oder ein kurzer Anruf helfen mir in diesem Moment abzuschalten und neue Kraft zu tanken, die ich für den Nachmittag vermutlich noch brauchen werde.

Als Freiwillige bei Atiycuy Perú

Hi,
mein Name ist Lara. Ich verbringe gerade meinen weltwärts-Freiwilligendienst bei der NGO Atiycuy Perú im peruanischen Regenwald und möchte euch heute mal ein bisschen von der Arbeit hier erzählen.

Vor meiner Ausreise haben mir viele Menschen in meinem Umfeld die Frage gestellt: „Was genau wirst du nochmal in Perú machen?“ und mir ist es immer sehr schwer gefallen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Auch die ehemaligen Freiwilligen hatten Probleme damit, mir genau zu sagen, was mich hier erwarten wird. Wie ich festgestellt habe, liegt das nicht nur daran, dass Atiycuy viele verschiedene Arbeitsbereiche hat, sondern auch daran, dass die täglich anfallenden Aufgaben sehr unterschiedlich sein können.
Allgemein lässt sich sagen, dass sich Atiycuy für eine gesamtheitliche, nachhaltige Entwicklung im Regenwald einsetzt. Zusätzlich gibt es insgesamt sieben Programme.

Acompañamiento de Niños, Niñas y Adolescentes (ANNA) ist das Kinder- und Patenschaftsprogramm von Atiycuy, welches Kinder und Jugendliche aus hilfsbedürftigen Familien begleitet und Workshops zur Persönlichkeitsentwicklung und Stärkung des Selbstbewusstseins veranstaltet. Auch unterstützen sie in Notfällen zum Beispiel durch Spenden.

Educación Ambiental (EDA) veranstaltet Workshops und Vorträge für unterschiedliche Zielgruppen, darunter Jugendliche und die Bewohner:innen der nativen Dörfer, um über Umweltschutz und Nachhaltigkeit aufzuklären.

Conservación y Biodiversidad (COBIO) ist für das „Mein Regenwald“- Naturschutzgebiet zuständig. Unter anderem sammeln sie Daten über die Biodiversität und dokumentieren die Tiere in dem Gebiet mit Wildkameras.

Reforestación (REFOR) ist ein Unterprogramm von COBIO und für die Wiederaufforstung in verschiedenen Walgebieten zuständig.

Das Programm Communicación ist vor allem für die Erstellung von Posts für die sozialen Medien und die Bearbeitung von Foto- und Videomaterial zuständig.

Comunidades Nativas (CCNN) hat zum Ziel, die Dorfgemeinschaften der Yanesha, einer indigenen Bevölkerungsgruppe im peruanischen Regenwald, in ihrer Entwicklung zur Selbständigkeit und dem Erarbeiten einer Dorfverfassung zu unterstützen, die ihnen hilft, ihre Autonomierechte durchzusetzen.

Rescate Yanesha (REYA) ist das Programm, in dem ich mithelfe. Unsere Arbeit hat zum Ziel, die Yanesha wieder in der Auslebung ihrer Kultur zu stärken, da diese in großen Teilen durch die Kolonialisierung und die spätere Vertreibung in den 70er Jahren verloren gegangen ist. Darum veranstalten wir regelmäßig Workshops in den Comunidades, wo wir mit den Comuneros Stoffe mit natürlichen Materialien färben, Holz schnitzen, weben oder Cushmas, die traditionelle Stammeskleidung, herstellen. Auch der Sprachunterricht ist ein wichtiger Teil unserer Aufgaben.

Die Möglichkeiten bei Atiycuy

Liebe Leser,

dies ist mein Bericht über den ersten Monat, den ich hier in Peru verbracht habe.

Nach einem schweren Abschied am Münchner Flughafen und einem entspannten Tag im Flugzeug sind wir spät am Abend in Lima angekommen. Dort wurden wir abgeholt und in unser Hostel in dem touristischen Stadtteil „Miraflores“ begleitet. Am nächsten Morgen, der Morgen des 01.02.2023, hat uns die Nichte der Chefin des Programms durch Miraflores begleitet, wir haben peruanische SIM-Karten gekauft und die Tempelruine „Huaca Pucllana“ mitten in Miraflores besucht. Auch habe ich meine ersten peruanischen Gerichte wie „Causa de Pollo“ oder die süßen „Bombitas“, also sogar auch dem Namen nach echte Kalorien“bömbchen“, probiert. Am Freitag hatten wir einen Termin in der deutschen Botschaft in Lima und haben ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit Martina Driess führen können. Sie ist zuständig für die deutschen Freiwilligen in Peru.

Die Weiterfahrt nach Villa Rica

Unsere ersehnte Weiterreise nach Villa Rica hat sich leider ein wenig hinausgezögert, weil die Busgesellschaft, mit der wir reisen wollten, ihre Fahrten wegen der Proteste vorübergehend eingestellt hat. Deswegen hat uns ein Fahrer aus Villa Rica abgeholt. Dieser ist aber bei der Andenüberquerung auf über 4.500 Metern im Schnee steckengeblieben und somit mit 12 Stunden Verspätung erst in Lima eingetroffen. Also sind wir erst am Montag, den 06.02.2023 um 4:30 Uhr losgefahren, insgesamt drei Tage später als geplant. Die Strecke war wunderschön und führte aus Lima hinaus, direkt in die Berglandschaft der Anden. Nach vier Stunden Fahrt haben wir den höchsten Punkt des Passes mit circa 4.650 Metern erreicht. Ab diesem Punkt konnten wir von der Straße aus immer wieder Alpakas, Lamas und Vikunjas beobachten. Als die Höhenmeter wieder abgenommen hatten, bin ich für eine halbe Stunde eingenickt und habe mich, als ich wieder aufgewacht bin, mitten in der Selva Alta, den Bergregenwäldern, wiedergefunden. Und nach insgesamt zehn Stunden Fahrt haben wir das Projekthaus Casa Atiycuy in der kleinen Stadt Villa Rica erreicht.

Das Einleben

Hier in Villa Rica wohnen wir zusammen mit anderen Mitarbeitenden von Atiycuy in dem Projekthaus. Hier haben wir unsere Zimmer und bekommen Frühstück, Mittagessen und Abendessen von der Köchin Lindy aufgetischt. Es gibt auch einen sehr schönen Garten, in dem einheimische Pflanzen wachsen. Da das Spanisch von mir und meinen Kameradinnen noch nicht ausreichend ist, damit wir uns effektiv im Projekt einbringen können, hat die Chefin, Elizabeth, Spanischunterricht für uns organisiert. So waren die ersten Wochen von intensivem Lernen geprägt. Am 22.02.2023 hat uns dann endlich jeder der Koordinatoren der verschiedenen Programme Atiycuys eine Einführung in seinen Bereich gegeben, sodass wir uns entscheiden konnten, wo wir uns nützlich machen wollen.

Gringa in Cushma

5:27 Uhr am Morgen, mein Handy klingelt, während ich bereits meine Tasche packe. Noch recht verschlafen gehe ich dran und die Stimme meines Chefs begrüßt mich mit einem: „Hola Fenix, buen día. Vamos!?“. Ich öffne ihm die Tür, frage standardmäßig, ob ich heute wohl Gummistiefel brauche oder nicht, wir packen im Büro alle Materialien zusammen und machen uns auf den Weg.
Heute ist ein wichtiger Tag, denn es steht eine Vollversammlung in der indigenen Gemeinschaft (Comunidad) ‚San Gerónimo‘ an. Die letzte Versammlung für die Erarbeitung der dorfeigenen Verfassung, dem Estatuto.

Nach einer einstündigen Wanderung kommen wir mit nassen Füßen in der Comunidad an und werden bereits von einigen Comuneros erwartet und herzlich begrüßt. Wir sind früh dran, sodass wir uns bei einer Tasse frischem Ananas-Wasser kurz ausruhen können. Da kommt Dina, die Dorfälteste, und reicht mir eine ihrer Cushmas, die traditionellen Gewänder der Yanesha. Sie möchte gerne ein Bild mit ‚der Gringa in Cushma‘ machen. Ich freue mich darüber, noch nie habe ich eine Cushma getragen und dass ich eines ihrer Gewänder tragen darf, die sie mit viel Arbeit selbstanfertigt, ist nicht selbstverständlich. Die Kleidung und der dazugehörige Schmuck haben eine große Bedeutung für die Yanesha und sind Ausdruck ihrer kulturellen Zugehörigkeit.

Nach und nach kommen noch mehr Mitglieder der Gemeinschaft und der Amchatareth, der Dorf Chef, beginnt mit seiner Begrüßung. Er betont, wie wichtig das Estatuto für die Comunidad sei und zeigt sich dankbar für die Begleitung von Atiycuy. Es ist üblich, dass auch jede:r aus unserem Team einige begrüßende Worte an alle Teilnehmenden richtet, bevor unsere Anwältin mit dem Workshop beginnt. Es werden noch einmal einige Artikel verlesen, letzte Änderungen besprochen und diskutiert. Ein Vater-Sohn-Duo fällt dabei besonders positiv auf: Der Vater kann nicht lesen, sodass der Sohn ihm zu Hause jeden einzelnen Absatz des Verfassungsentwurfes vorgelesen hat, um gemeinsam zu überlegen, was noch unklar ist und wo etwas geändert werden könnte. Das zeigt, wie viel ihnen ihre Kultur und deren Erhaltung bedeuten. Das Ergebnis ihrer Bemühungen tragen sie also dem Rest des Dorfes vor und am Ende des Tages sind alle Sorgen und Zweifel aus dem Weg geräumt. 15 Kapitel, 58 Artikel und mehr als zwei Jahre Arbeit stecken in der Dorfverfassung – für die Comunidad ein großer Schritt in Richtung Autonomie und Selbstverwaltung. Der Prozess des Estatutos ist nun in fast allen Yanesha-Gemeinschaften, mit denen Atiycuy zusammenarbeitet, abgeschlossen. Auf dieser Grundlage kann die Dorfentwicklung, unter anderem im Hinblick auf eine nachhaltige Nutzung von Ressourcen, weitergehen, sodass die Yanesha auch in Zukunft in ihren Gemeinschaften leben können.

Vielfalt in Peru

Hi, Mohamed hier.

Meine Zeit hier läuft bald ab und doch fehlt mir noch so viel, das ich noch sehen möchte… Aber kommen wir mal zum eigentlichen Teil dieses Blogartikels, reden wir über die Arbeit!

Meine Aufgaben hier haben sich über die Zeit hinweg relativ stark verändert. Während ich anfangs noch mit den Yanesha zusammen, die von Terroristen, vom Staat und der Kirche unterdrückt werden, gegen die Konsequenzen dieser jahrelangen und noch immer fortschreitenden Unterdrückung gekämpft habe, arbeite ich mittlerweile im Bereich des Waldschutzes.
Das Waldschutzprogramm konzentriert sich, wie der Name schon verrät, auf ein Waldschutzgebiet, das wir als Projekt verwalten. Ganze 18.000 Hektar groß ist es und beherbergt die verschiedensten Pflanzen-, Tier- und Pilzarten.
Hier arbeite ich mit meinem Mitfreiwilligen Freddy. Wir sind dabei mitten im Primärregenwald (so wird ein intakter, noch nie vom Menschen genutzter Wald bezeichnet) und geben verschiedenste Workshops, die wir mit den daran angrenzenden Dörfern zusammen organisieren.
Die Workshops haben das Ziel, den Dorfbewohner:innen die Wichtigkeit der Konservation von Natur nahezubringen und sie somit dazu zu animieren, selbst die Umwelt zu schützen. Außerdem dokumentiere ich unsere Fortschritte im Projekt, helfe bei der Planung zukünftiger Arbeitsschritte und unterstütze meinen, zugegebenermaßen sehr unorganisiertem Chef dabei, Ordnung im Büro zu halten.
Neben meiner Arbeit im Konservationsprojekt habe ich auch die Möglichkeit bei den anderen Projekten mitzuhelfen. Zum Beispiel habe ich für das Kulturprojekt vor kurzer Zeit eine Farbpalette erstellt, mit der man in Yanesha-Dörfern traditionell hergestellte Farben vorstellen kann.

Diese Arbeit, so wie die vorherige, hat einen großen Wert für mich. Ich kann mich hier nämlich nicht nur auf eine Art und Weise ausleben, wie ich es vorher noch nie konnte, sondern gleichzeitig einen kleinen Einblick in die Wichtigkeit des Regenwaldes auf lokalem, aber auch auf internationalem Level gewinnen.

Azupizu – 6 Stunden tief im Regenwald

Ich kenne ein Yanesha-Dorf. Es liegt etwa einen sechs stündigen Fußmarsch entfernt, tief im Regenwald.
Um 5:00 Uhr morgens klingelte der Wecker, Regen prasselte leise auf das Dach unseres Projekthauses. Draußen fing es schon langsam an, hell zu werden, als zwei peruanische Teammitglieder, Henry und Lucero, meine Mitfreiwillige Fenja und ich uns für unseren Aufbruch nach Azupizu fertigmachten. Ein langer Tag sollte uns erwarten, ein langer Fußmarsch durch den Regenwald. Da unsere Rucksäcke klein und leicht sein mussten, konnten wir nur das Nötigste mitnehmen.

Der Weg ins Dorf- der erste Abschnitt

Den Weg starteten wir mit einem Pickup. Wir fuhren über die holprigen, von Schlaglöchern übersäten Straßen Zentralperus. Wir fuhren an den entwaldeten Flächen Cacazus vorbei, dem einstigen kulturellen Hauptzentrum der Yanesha-Nation, das aber in den 70er-Jahren, der Straße, Holzfällern und Rinderweiden Platz machen musste. Der Regen begleitete uns. Je weiter wir fuhren desto dichter wurde der Wald, die Grasflächen wurden seltener und es fühlte sich an, als würde man in der Zeit zurückfahren. Doch im Gegenteil, die Zeit fuhr mit uns. Denn während ich einerseits das Gefühl hatte, der Zivilisation zu entfliehen, so fuhren uns andererseits immer wieder mit Holz beladene Laster entgegen. Mir wurde klar, dass die Straße nicht für die Menschen gebaut wurde, sondern für den Transport von Ressourcen.
Nach zwei Stunden hielten wir schließlich am Rande einer Brücke. Hier begann eine Abzweigung des Wegs, der entlang des Flusses und durch den Dschungel der Hochlandregenwaldregion Amazoniens zu der Yanesha-Gemeinschaft San Geronimo führte.

Die Yanesha-Gemeinschaft

Von früheren Ausflügen nach San Geronimo wusste ich, dass in diesen Wäldern Vogelspinnen, Giftschlangen und Jaguare leben. Für die Yanesha-Gemeinschaft ist es allerdings mehr als ein Dschungel.
Seit 3500 Jahren stellt dieser Urwald das Herzstück der Yanesha-Kosmologie dar. An der Seite dieses Waldes hat sich ihre Kultur entwickelt. Wenn man mit den Yanesha durch den Wald läuft, werden unscheinbare Blätter zu Heilpflanzen, Wurzeln zu Giften, abgenagte Bromelien zu einer Fährte und schöne Lagunen zur Heimat von Mythen und Glauben. Es ist eine einzigartige Welt, in der beide Akteure in einer Interdependenz zueinanderzustehen scheinen. Ohne die Yanesha gäbe es keinen Wald mehr und ohne den Wald keine Yanesha. Und so sind sie beide gleichermaßen vor dem Aussterben bedroht.

Der Weg ins Dorf – das letzte Drittel

Je weiter wir gingen desto höher waren die Bäume entlang unseres Weges gewachsen. Gleichzeitig wurde der Wald aber immer lichter. Wir gingen über Bergrücken, durchquerten Flüsse und Täler, während wir immer wieder eine einmalige Aussicht auf die Weite der Baumgipfel in den Tälern und den Hängen bekamen. Doch die Luftfeuchtigkeit, die Schwüle und der vom Regen aufgeweichte Boden machten uns das Laufen unglaublich anstrengend und wir kamen nur langsam voran.
Nach sechs Stunden, das Wasser reichte uns in unseren Gummistiefeln mittlerweile bis zu unseren Waden, kamen wir schließlich auf einer kleinen Lichtung bei einem Haus an, von dem es noch weitere 40 Minuten bis nach Azupizu dauern sollte. Eine Yanesha rief uns zu, dass wir uns ausruhen sollten und lud uns auf einen „Masato“ ein, dem traditionellen Getränk der Yanesha, welches aus Maniok hergestellt wird. Von ihrem Garten aus hatten wir einen Ausblick auf einen wunderschönen Wasserfall auf der gegenüberliegenden Bergseite, der wohl 80 Meter hoch sein musste.

Die Ankunft in Azupizu

Als wir in Azupizu ankamen, war es schon später Nachmittag und da in Peru die Sonne um 18:00 Uhr untergeht, hatte auch schon die Abenddämmerung begonnen. Trotzdem blieb uns noch genug Zeit, um die Dorfgemeinschaft kennenzulernen, von der wir sehr herzlich empfangen wurden und die trotz der Isolation sehr gut organisiert ist. Solarplatten liefern Strom, Maulesel weiden auf dem kleinen Fußballplatz und es gibt Duschen, die die Schwerkraft nutzen, um das Wasser der höher gelegenen Bäche zu verwenden.
Als die Sonne unterging, gingen die Sterne auf, auf einzelne folgten viele und schon bald war der ganze Himmel von ihnen bedeckt. In den Büschen wurde das Spektakel von Glühwürmchen und Glühfaltern, deren Lichter wie Augen zwischen den Ästen aufblinkten, erwidert. Zu den Geräuschen der Zirpen und dem Quaken der Frösche legten wir uns schließlich schlafen. Der Boden des Gemeinschaftshauses diente uns als Bett, auf dem wir nur noch unsere Schlafsäcke ausbreiteten.

Doch ich konnte nicht richtig einschlafen. Die Geschichte der Yanesha, von der sie mir an vielen Abenden erzählten, hielten mich wach. Um verstehen zu können, was wir hier in dem Projekt tun, erzähle ich sie euch.

Peru- Meine ersten Eindrücke

Es ist nun schon sechs Wochen her, seit ich frühmorgens, nach knapp 17 Stunden Flug in Lima, Peru gelandet bin. Trotz einer etwa neunmonatigen Vorbereitung auf meinen Freiwilligendienst, wusste ich doch nicht so recht, was mich erwarten wird.

Ich hatte also nur zwei Gedanken. Ich hoffte inständig, dass mein Gepäck da sein und dass mich jemand abholen würde. Und tatsächlich konnte ich sowohl meinen unversehrten Rucksack vom Gepäckband nehmen und wurde bereits von Maribel erwartet, die vor dem Flughafen stand, um mich abzuholen. Ich war also zunächst erleichtert. Doch dann sind wir mit einem Taxi in Richtung des Hotels gefahren und das war definitiv nichts für schwache Nerven. In Lima wird wild gehupt, rote Ampeln werden ignoriert und geordnete Fahrbahnspuren lassen sich höchstens erahnen. Allerdings siegte meine Neugier über meine Angst, sodass ich fasziniert aus dem Fenster schaute und alle neuen Eindrücke in mich aufsaugte.

Es folgten drei Tage, in denen ich das peruanische Großstadtleben etwas näher kennenlernen konnte. Neben der unerwarteten Feststellung, dass es im peruanischen Winter verdammt kalt sein kann, habe ich zum ersten Mal den Pazifik gesehen und „Chifa“ gegessen, ein an die chinesische Küche angelehntes Gericht. Ein wenig Kulturprogramm war auch dabei. Ich besichtigte die ‚Huaca Pucllana‘, eine der alten Ruinen, die noch den Anfängen der Lima-Kultur zuzuordnen ist. Daneben musste ich allerdings schnell feststellen, dass hier in Peru öfter mal alles ein wenig chaotisch und ungeplant ist. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich allein innerhalb der ersten drei Tage mit Warten verbracht habe. Nicht einmal meine Verabredungen sind pünktlich gekommen. Dabei handelt es sich nicht nur um ein paar Minuten Verspätung, sondern bis zu zwei Stunden. Ich kann jetzt schon sagen, dass das etwas ist, woran ich mich gewöhnen muss, was mir aber bei meiner pünktlichen Art manchmal noch schwerfällt.

Neues Zuhause

Nach den drei Tagen fuhr ich am Samstagabend weitere zehn Stunden mit einem erstaunlich komfortablen Nachtbus an mein eigentliches Ziel, der Villa Rica. Das ist ein Städtchen in der Selva, der Regenwaldregion Perus, bestehend aus drei betonierten Hauptstraßen, von denen zahlreiche Nebenstraßen aus Schotter und Staub ausgehen.

Hier sind mir vor allem die einfach gebauten Häuser aufgefallen, die oft aus Blech bestehen. Zudem verfügt hier nicht jede:r über einen Wasseranschluss und warmes Wasser ist eine Seltenheit. An vielen Straßenrändern sammelt sich der Müll und Hygienemaßnahmen sind oft nur schwer umsetzbar. Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto auffälliger wird die Armut. Das war im ersten Moment doch recht bedrückend für mich. Mir wurde bewusst, dass meine tägliche heiße Dusche und meine Heizung, die ich wie selbstverständlich nachts aufdrehen kann, wenn mir kalt sein sollte, alles andere als selbstverständlich sind. Seitdem ich darauf verzichten muss, lerne ich diese Privilegien, die ich habe, sehr zu schätzen.

Ich will hier aber natürlich auch die schönen Seiten hervorheben, denn Villa Rica ist mir echt sympathisch. Wenn man etwas braucht, muss man nur eine der drei Hauptstraßen entlanggehen und in einem der unzähligen kleinen Läden findet man schon etwas Passendes. Am Marktplatz gibt es auch einige kleine Cafés, in denen man den Kaffee aus Villa Rica oder einen frisch gepressten Fruchtsaft genießen kann. Die Highlights sind für mich die „Mirador La Cumbre“, eine Anhöhe von der aus man ganz Villa Rica sehen kann, und der „Laguna El Oconal“, ein See, den man mit kleinen Booten befahren kann. Sie sind auf jeden Fall einen Besuch wert. Die Menschen in Villa Rica sind nett und freundlich und auch das Team, mit dem ich hier zusammenarbeite, hat es mir sehr einfach gemacht, mich zurechtzufinden und in der ‚Familia Atiycuy‘ anzukommen. Die Organisation „Atiycuy Perú“, bei der ich ein Jahr arbeiten werde, hat ein eigenes Grundstück mit zwei Gebäuden für Büros und Unterkunft. Ich war positiv überrascht davon, wie schön die Anlage mit ihrem großen Garten und den unzähligen Pflanzen ist. Neben uns vier Freiwilligen, den beiden Hunden und der Schildkröte, schlafen auch einige Mitarbeiter:innen unter der Woche auf dem Gelände. Es ist also immer etwas los.