La vida en Aiped

Am 12.9. 2022 machte ich mich mit gemischten Gefühlen, aber voller Vorfreude auf zu meiner neuen Arbeit. Es war mein erster Tag und ich hatte lediglich eine grobe Vorstellung von den Aufgaben, die mich das Jahr über erwarten würden. Meine Spanischkenntnisse reichten für das Führen von einfachen Konversationen aus.

Meine Aufgaben

Ich wurde nett von den Mitarbeiter:innen empfangen und bekam für die ersten Tage einfache Aufgaben zugeteilt. Ich sollte die „Usuarios“ morgens empfangen, das Essen austeilen sowie bei den Aktivitäten (Malen, Bingo spielen, usw.) mithelfen.
Schon nach kurzer Zeit durfte ich an der Planung der Aktivitäten für das Jahr mitwirken. Hier konnte ich eigene Vorschläge einbringen, die größtenteils auch umgesetzt wurden.
Bei jedem Freiwilligen im Projekt wird geguckt, welche Hobbys bzw. Talente sie haben. Diese werden dann in die Arbeit integriert. Da ich sehr gerne Sport mache, wurde ich zum „Profesor de deportes” ernannt. Seitdem gebe ich Kurse in Fußball, Basketball, Boccia und Leichtathletik. Andere Möglichkeiten wären aber auch Musik- oder Kunstunterricht.

Aktuell ist die „semana de los derechos con discapacidad“. In dessen Rahmen machen wir allerlei sportliche Aktivitäten. Dabei treten wir auch gegen andere Einrichtungen für Menschen mit Behinderung an. Die Disziplinen sind u.a. Boccia, Leichtathletik und Fußball. Das Ganze wird von dem lokalen Rathaus organisiert. Hierbei geht es aber weniger um den Wettkampf, sondern vorrangig um den Spaß und die Begeisterung der Teilnehmer:innen.

AIPED – Asociación de Apoyo Integral para Personas con Discapacidad

In diesem Blog soll es um mein Projekt gehen, in dem ich seit Anfang diesen Jahres dreimal pro Woche arbeite.

Das Projekt heißt „AIPED“ (Asociación de Apoyo Integral para Personas con Discapacidad, Assoziation zur integralen Unterstützung von Personen mit Behinderung).

Die Mission des Projekts ist die Verbesserung der Lebensqualität erwachsener Menschen mit Behinderung durch Förderung und Training ihrer Autonomie und Unabhängigkeit. Täglich kommen zwischen 20 und 30 „Usuarios“ (Benutzer) in die Einrichtung und verbringen ihren Tag dort. Einige von ihnen kommen schon jahrelang dorthin, andere erst seit einigen Wochen oder Monaten. Trotz dessen ist es eine große Familie, zu der alle der Usuarios, unabhängig von ihrem Alter oder dem Grad ihrer Behinderung, gehören. Teil dieser Familie sind außerdem der Projektleiter Roy, die beiden Profesoras (Lehrerinnen) Yetty und Tatti, die Köchin Lali und die zahlreichen Freiwilligen. Die Freiwilligenarbeit spielt nämlich eine sehr große Rolle, da jeden Tag mehrere Freiwillige kommen, um bei der Betreuung der Usuarios Unterstützung zu leisten. Bei vielen der Freiwilligen handelt es sich um die Mütter der Usuarios. Es kommen aber auch externe Freiwillige, die unterstützend mitwirken, so wie ich auch.

Da das Team so groß ist, ist eigentlich immer etwas los und ich treffe auch heute immer noch auf neue Menschen, mit denen ich mich unterhalten und austauschen kann. Die Einrichtung ist sehr modern und offen, aber nicht zu groß, sodass alles sehr persönlich und einladend wirkt. Es gibt einen großen Saal mit angrenzender Küche, in dem die meiste Zeit verbracht wird. Außerdem gibt es einen Garten, ein Gymnasio (Sporthalle), wo Yoga gemacht wird, die Computer stehen und wo die Usuarios ihre freie Zeit verbringen können. Tagsüber werden zusätzlich verschiedene Aktivitäten angeboten, wie beispielsweise Bastel-, Computer-, Gärtner- und Englischklassen.

Meine Aufgaben

Mein Tag dort beginnt schon um 7:30 Uhr und endet um 15:30 Uhr. Allerdings bräuchte ich mit dem Bus über eine Stunde zur Arbeit, weshalb ich mit einem „Uber“ fahre. Meine Aufgaben sind sehr breit gefächert und grundsätzlich helfe ich bei allem, was gerade so anfällt. Am Morgen gibt es besipielsweise immer eine „Tanzsession“, um den Tag mit Bewegung zu starten, bei der die meisten Usarios immer begeistert mittanzen. Manche müssen allerdings erst dazu motiviert werden. 😉

Meine Aufgabe besteht aber vor allem darin, die Usuarios zu betreuen, da die meisten aufgrund ihrer Behinderung viel Unterstützung bei alltäglichen Dingen benötigen. Das bedeutet, dass ich ihnen beim Händewaschen und Zähneputzen helfe, ihnen das Essen zum Platz bringe oder beim Basteln neben ihnen sitze und sie anleite. Abgesehen von der Arbeit mit den Usuarios unterstütze ich gelegentlich Roy bei administrativen Aufgaben im Büro oder helfe beim Putzen sowie in der Küche. Eines ist also sicher: Es ist selten langweilig und jeden Tag passieren spannende Sachen!

Meine Erfahrungen und Beobachtungen

Obwohl ich noch nicht sehr lange dort arbeite, habe ich schon unfassbar viel gelernt. Die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen ist etwas sehr Besonderes und über die Zeit konnte ich schon engere Beziehungen zu ihnen aufbauen. Ich war zuvor noch nie in diesem Bereich tätig, sodass es eine ganz neue Erfahrung für mich ist, was die Arbeit aber noch besonderer für mich macht.

Was mich am meisten beeindruckt ist sowohl der Umgang mit dem Thema Behinderung als auch der Umgang untereinander. Die Stimmung ist immer gut und alle gehen unfassbar herzlich miteinander um. Ich kann spüren, wie viel Liebe die Mitarbeiter:innen für die Usuarios haben, was sie in Form von Umarmungen, gemeinsamem Lachen und verschiedenen Kosenamen und Verniedlichungen zum Ausdruck bringen. Vor allem das gemeinsame Lachen spielt dabei eine große Rolle. Für mich zeigt es die Unbefangenheit dem Thema Behinderung gegenüber. Denn statt die Usuarios zu bemitleiden, werden auch mal Scherze gemacht, auf eine Art und Weise, die erneut die Zuneigung und Wertschätzung zeigt, die untereinander herrscht.

Ich mag meine Arbeit dort sehr und fühle mich mit den Usuarios und dem Team super wohl. Ich habe das Gefühl, dass ich von dem Zusammensein mit Menschen mit Behinderung sehr viel mitnehmen und lernen kann. Das ist für mich eine einzigartige Erfahrung!

“Wenn man schätzt, was man hat, merkt man, dass man viele Schätze hat.“

-Ernst Ferstl

Für mich begann das bewusste Wertschätzen, vor allem auch von kleinen Dingen, hier in Costa Rica. Denn erst hier habe ich realisiert, was mir auf einmal fehlt, beispielsweise meine Familie. Wie selbstverständlich ist es meistens gewesen, nach Hause zu kommen und meine Familie vorzufinden. Hier komme ich nach Hause und finde nicht mehr meine Familie, sondern meine drei Mitbewohnerinnen vor.

Wieso beginnen wir also erst Dinge wertzuschätzen, wenn wir sie nicht mehr haben oder sie nicht mehr greifbar sind?

Umgekehrt weiß ich schon jetzt, dass ich Manches von dem, was ich hier lieben lerne, nach diesem Jahr und wieder zurück in Deutschland vermissen werde.

Und damit ich nicht erst dann realisiere, was mir alles fehlt und was ich mehr wertschätzen hätte sollen, beginne ich gleich hier bewusst damit. Ich nehme mir vor, pro Tag nur eine Sache oder eine Person auszusuchen, für die ich dankbar bin. Ich bin mir sicher, dass es mir damit viel besser gelingen könnte, im Moment zu leben und den Augenblick zu genießen.

Eine der Sachen, die ich sehr wertschätze, ist die Großzügigkeit und Offenheit der Costa-Ricaner, mit der sie mir täglich begegnen. Es gibt bereits unzählige Beispiele, bei denen mein Herz aufgegangen ist, einige werde ich nennen: kürzlich haben Milena, meine Projektpartnerin und ich nach einem langen Arbeitstag beschlossen, bei der Bäckerei in unserer Straße eine Kleinigkeit zu kaufen. Als wir die Bäckerin nach ihrem Lieblingsgebäck gefragt haben, deutete sie auf Cookies, die wie Brownies aussahen. Wir entschieden uns für diese, wollten jedoch erstmal nur eins kaufen, um es probieren zu können. Doch sie gab uns noch ein zweites mit in die Tüte, mit dem Satz: Willkommen in der Nachbarschaft! Ein weiteres Beispiel ist mir passiert, als ich auf der Heimfahrt von Jaco war und mit Milena im Bus nach San Jose stand. Ja richtig, wir mussten stehen, da wir vergessen hatten, uns ein Ticket zu kaufen und einen Sitzplatz zu reservieren. Doch schon bald kam ein Mann in den Bus und hat gesehen, dass wir uns gerne hinsetzen würden, woraufhin er seinen Platz aufgegeben hat, sich neben eine andere Reisende gesetzt und uns seinen Doppelplatz überlassen hat.

Ich schätze auch meine Nachbarn wahnsinnig wert, da sie für mich wie eine zweite Familie geworden sind! Die Familie besteht aus den Eltern und einer 16-jährigen Tochter, namens Maria. Wir sehen sie nahezu täglich und sie sind uns bei allem eine Hilfe! So kann es passieren, dass wir auf der Suche nach etwas sind und es nur am Rande erwähnen und Marcia, die Mutter uns am nächsten Morgen eine Menge Screenshots schickt von guten Angeboten, die sie herausgesucht hat. Sie sind für mich also ein großer Bestandteil meines Lebens und ich bin unglaublich dankbar dafür, dass wir durch sie die costa-ricanische Kultur hautnah miterleben dürfen.

Zudem bin ich dankbar für die Arbeit in meinem Projekt. Ich fühle mich täglich wirklich gebraucht, sowohl für die organisatorischen Aufgaben als auch für die Arbeit mit den Kindern. Dies erfüllt mich deshalb so sehr, da ich ja auch tatsächlich erfahren möchte, wie der Alltag in einer Kindereinrichtung, wie El Refugio sein kann. Den ganzen Tag nur Löcher in Luft starren und mich ungebraucht fühlen zu müssen, wäre schrecklich für mich. Ich wertschätze, dass ich bei dieser Arbeit lernen muss, viel Geduld zu haben. Und zwar bei allem. Damit meine ich beispielsweise die Ruhe zu bewahren, wenn ein Kind mal keine Lust hat am Englisch-Unterricht teilzunehmen und stattdessen lieber mit Knete spielen möchte. Oder man nach einer zweistündigen Entrega de comida” immer noch auf einige Familien warten muss, die dann in letzter Minute zu sechst reinschneien, um sich ihr Essen abzuholen.

Ich lerne durch die Arbeit, wie ich mit Kindern umgehen kann, die sich anfangs teilweise nicht einmal trauen, die Hand ihrer Mama loszulassen, aber dann beim gemeinsamen Spielen schnell aufblühen und uns Vertrauen schenken.

Ohnehin sind die Kinder im Projekt ein großer Schatz, für den ich dankbar bin. Sie zaubern mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht. Zum Beispiel indem sie freudestrahlend auf mich zugelaufen kommen, meinen Namen ganz laut rufen und mich dann umarmen. Diese Zuneigung bedeutet mir deshalb so viel, weil ich dadurch die Bestätigung bekomme, mich richtig gegenüber ihnen zu verhalten und eine Freude machen zu können.

Ebenfalls bin ich für die Köchinnen in meinem Projekt sehr dankbar, die uns jeden Dienstag und Freitag ein typisch costa-ricanisches Essen zaubern und dafür sorgen, dass wir auch wirklich satt werden! Sie zeigen jedes Mal so viel Interesse an unserem Leben und freuen sich riesig eines Tages meine Familie kennenzulernen, für die sie auch kochen und zu sich einladen wollen.

Dankbar bin ich auch, dass ich einen neuen Lebensstil erleben darf. Damit meine ich beispielsweise den Weg in die Arbeit, bei dem wir jeden Morgen ca. 20 Minuten zur Bushaltestelle laufen müssen und dann nochmal ca. 25 Minuten mit dem Bus zu unserer Arbeit fahren. Zuhause hätte mich vermutlich das Mama-Taxi bemüht, doch diesen Luxus kann ich hier nicht mehr genießen. Aber das ist auch in Ordnung, denn nur so haben wir jetzt einen neuen Freund, nämlich unseren Busfahrer, der uns morgens sowie nachmittags freundlich begrüßt und sogar auf uns wartet, wenn wir mal etwas verspätet zur Bushaltestelle rennen. Auch war es für mich anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, mir ein Zimmer zu teilen, da das bedeutet hat, dass ich jetzt weniger Privatsphäre habe. Jedoch gewöhne ich mich daran immer mehr und finde, dass es auch gut so ist, dass ich mal aus meiner Komfortzone treten muss.

Eine weitere Sache, für die ich extrem dankbar bin, ist der Blick von unserem Haus sowohl auf eine Bergkette, als auch auf die Stadt San José, die vor allem bei Nacht, wie ein wunderschönes Lichtermeer aussieht. Jedes Mal, wenn ich nach Sonnenuntergang nach draußen gehe, muss ich staunen und weiß bereits jetzt, wie sehr ich diese Sicht vermissen werde.

Letztlich schätze ich das Wetter hier sehr wert! Anfangs wurde mir von vielen gesagt, dass es in Heredia kalt sei, woraufhin ich natürlich einige dicke Pullis und Jacken mitgenommen habe. Doch davon habe ich noch keine einzige benötigt! Jeden Morgen laufe ich mit T-Shirt aus dem Haus und genieße die Sonnenstrahlen, herrlich! Genauso habe ich es mir gewünscht: Eine angenehme Wärme, bei der man keine Jacke braucht, aber auch nicht auf der Suche nach Schatten ist. Noch viel mehr schätze ich dieses Wetter wert, wenn mir meine Familie oder Freunde aus Deutschland Bilder schicken, wie sie mit langen Mänteln aus dem Haus gehen müssen.

Wie bereits aufgezählt, gibt es so viele Dinge und Personen, für dich ich dankbar bin und die ich liebe und respektiere. Würde ich noch mehr Sachen aufgreifen und noch mehr ins Detail gehen, würde dieser Artikel zu lang werden.

Für dieses Mal war es mir wichtig zu zeigen, wie viele einzelne Dinge es gibt, die Schätze sind, aber nicht immer automatisch als solche erscheinen. Und zu guter Letzt hat es mir sehr viel Freude gemacht, diesen Blogartikel zu schreiben oft mit einem Lächeln im Gesicht, glücklich, entspannt, positiv – das Wunder der Wertschätzung.

__________________________________________________________________________________________

„weltwärts“ ist eine Initiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und unterstützt das Interesse von Jugendlichen an freiwilligem Engagement in Entwicklungsländern. Der Großteil der Kosten für das Freiwilligenjahr wird durch den Zuschuss vom BMZ übernommen. Es bleibt jedoch ein Viertel der Gesamtkosten übrig: 3.000 € müssen über VISIONEERS und jedem Freiwilligen selbst gesammelt werden. VISIONEERS ist als unabhängige und gemeinnützige GmbH auf private Spenden angewiesen, um ein umfangreiches und zukunftsfähiges weltwärts-Programm zu ermöglichen.

Helft mir und VISIONEERS, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Bitte unterstützt uns mit einer monatlichen oder einmaligen Spende.

VISIONEERS gGmbH

Berliner Sparkasse

IBAN: DE29 1005 0000 0190 6097 70

BIC: BELADEBEXXX

Betreff: Name + Adresse des Spenders + Freiwilligen

Wir freuen uns jederzeit über Spenden.